Sachbuch

Kampfgrillen und Bienentänze

Von Wolfgang Schneider · 06.02.2014
Gegen den ersten Anschein ist diese "Insektopädie" kein Werk der Insektenforschung im strengen Sinn, sondern eine umfangreiche Sammlung von Essays, die anhand eher willkürlicher Stichworte von A bis Z aufgereiht wurden.
Man erfährt darin eine Menge über Insekten und Spinnentiere, noch mehr aber über das ambivalente Verhältnis der Menschen zu den Krabblern und Flüglern. Dem Entzücken über Wanzen und Schmeißfliegen steht seit je der Abscheu vor bunten Schmetterlingen und nektarsammelnden Bienen gegenüber – oder war’s umgekehrt? Gleichgültig jedenfalls bleibt bei diesem Thema niemand. Die absolute Fremdheit der Insekten-Parallelwelten irritiert. Und doch kommen sie uns so nah wie nichts anderes: Milben leben zu Tausenden in unseren Betten und auf unseren Gesichtern, und am Ende fressen uns die Maden.
"Die Made hat Macht in der Welt", meinte denn auch der legendäre Insektenforscher Jean-Henri Fabre, dem einer der besten Essays gewidmet ist: seinem lebenslangen Kampf um Anerkennung, seinem nimmersatten Staunen über die Schöpfung, seiner aussichtslosen Rivalität mit Darwin. Statt tote Tiere aufzuschneiden, wollte er lebendige studieren und beugte sich, bewaffnet mit unendlicher Geduld, über die Dramen der Krabbelwelt. Faszinierend, wie Fabre lauter akribische und richtige Forschungen anstellte, um etwas Falsches zu beweisen: Dass die Instinkthandlungen etwa der Wespe zu komplex seien, um sich durch schrittweise evolutionäre Adaptionen erklären zu lassen.
Landplagen und krispe Köstlichkeiten
Ein Essay widmet sich den Heuschrecken im Niger, die eine Landplage und eine krispe Köstlichkeit zugleich sind; ein anderer handelt von den Kampfgrillen in China – mehr als eine Grille, nämlich ein Volkssport, zu dem es seit dem 13. Jahrhundert fachkundige Literatur gibt. Man liest über die Sprache des Bienentanzes – Karl von Frischs aufsehenerregende Entdeckung symbolischer Kommunikation im Tierreich. Das Kapitel "Queres und Schräges" widmet sich dem vielfältigen Liebesleben in der Insektennatur, das jene Evolutionsbiologen, die überall die Ratio der Reproduktion und den Nutzen der Gattung finden wollen, in Erklärungsnot bringt.
"Insektopädie" ist ein wunderschön gestaltetes Buch aus Judith Schalanskys Reihe der "Naturkunden" im Verlag Matthes & Seitz, die Natur- und Kulturgeschichte verbinden will. Das ist in diesem Band, von einigen Längen und Exkursen ins Absonderliche abgesehen, exemplarisch gelungen. Hugh Raffles ist ein an W.G. Sebald geschulter Geschichtenerzähler, sein Buch kreuzt munter Natur- und Kunstgeschichte, Zoologie, Reise-Reportage, Philosophie, Anthropologie und politische Historie. So liest man unter dem Buchstaben "J" von den Judenverfolgungen. Wo Menschen ausgegrenzt und vernichtet werden sollen, erklärt man sie erst zu Parasiten, Läusen oder Kakerlaken. Nichts entmenscht die Opfer mehr als die Gleichsetzung mit Insekten.
Besprochen von Wolfgang Schneider

Hugh Raffles: Insektopädie
Aus dem Amerikanischen von Thomas Schestag
Erschienen in der Reihe "Naturkunden" bei Matthes & Seitz, Berlin 2013
380 Seiten, Abbildungen, 38 Euro

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