Sachbuch

Ein Mädchen mit blonden Zöpfen

Mutter und Kind bei einer Feier zum Welt-Down-Syndrom-Tag, März 2012 in Tirana / Albanien
Mutter und Kind bei einer Feier zum Welt-Down-Syndrom-Tag, März 2012 in Tirana / Albanien © picture alliance / dpa
Von Susanne Billig · 12.05.2014
Als ihre zweite Tochter mit Down-Syndrom auf die Welt kommt, kann sich Amelie Mahlstedt über das Baby nicht richtig freuen. Sie reagiert empfindlich auf vermeintlich negative Reaktionen aus dem Freundeskreis, bis ihr schließlich klar wird, dass ihr Kind gar nicht die Ablehnung erfährt, die sie zu spüren glaubt.
Als ihre zweite Tochter mit Down-Syndrom auf die Welt kommt, kann sich Amelie Mahlstedt über das Baby nicht richtig freuen. Sie überreagiert auf vermeintlich negative Reaktionen aus dem Freundeskreis, bis ihr schließlich klar wird, dass ihr Kind gar nicht die Ablehnung erfährt, die sie zu spüren glaubt.
"Lola ist da, gesund und wohlauf", simst Amelie Mahlstedt nach der Geburt ihrer Tochter an Freunde und Familie. Doch als die Ärzte ihr das Kind mit besorgten Gesichtern wegnehmen und langwierige Untersuchungen beginnen, ahnt die Mutter, dass etwas nicht stimmt. In ihrem Buch "Lolas verrückte Welt" schildert sie jetzt hautnah ihre Schritte in ein Leben mit einem behinderten Kind.
Von Anfang an wissen Amelie Mahlstedt und ihr Lebenspartner, dass Lola und sie eigentlich Glück gehabt haben. Denn das Down-Syndrom, bei dem jede Körperzelle ein überzähliges Chromosom 21 enthält, kann unterschiedlich schwere Symptome aufweisen - und Lola hat keinen schweren Herzfehler, keine Leukämie, keine Schilddrüsen-Störung. Damit sind die besten Voraussetzungen gegeben, dass Lola mit ihrer geistigen Behinderung ein glückliches Leben führen kann.
Doch die Auseinandersetzung mit den eigenen Sorgen und die Skepsis der Umgebung liegt schwer auf der Familie. Berührend schildert die Autorin, wie ihr immer wieder das natürliche Gefühl abhanden kommt, stolz auf ihr Baby zu sein und es so perfekt und wunderschön zu finden wie ihre erste Tochter Greta.
Odyssee durch die Welt der Therapien
Zwar bekennen sich die Großeltern vorbehaltlos zu ihrem Enkelkind, doch auf Spielplätzen stehen Lolas Eltern lange alleine da oder ernten im Höchstfall mitleidige Bemerkungen. Oder projiziert sie ihre eigenen Vorbehalte gegenüber diesem Kind nach außen? Ein Tango-Tanzfreund, dessen vermeintlich abschätziger Blick Amelie Mahlstedt so trifft, dass sie sich wochenlang zurückzieht, erklärt ihr später, er habe von Lolas Behinderung überhaupt nichts bemerkt. Erschrocken beschließt die Mutter, sich nie mehr zu verstecken und Lolas Kinderwagen von nun an aufrecht und stolz durch die Straßen zu schieben - prompt beugen sich alte Damen entzückt auch über ihr Baby.
Solche sehr persönlichen, mitunter allerdings etwas leutselig geschriebenen Passagen reichert Amelie Mahlstedt mit wertvollen medizinischen und psychologischen Informationen an. Ausführlich schildert sie ihre Odyssee durch die Welt der Therapien und Frühfördermaßnahmen. Ist es wirklich wichtig, Lola einem schmerzhaften Bewegungsdrill zu unterziehen, um eine ausreichende Muskelspannung zu erzeugen, wie manche Therapeuten behaupten?
Amelie Mahlstedt entscheidet für einen Mittelweg zwischen täglichen Übungen und dem Vertrauen in die selbstbestimmte Entwicklung ihres Kindes. Als segensreich empfindet sie es, mit Lola durch Gebärden und Bild-Karten zu kommunizieren, denn im Gegensatz zum akustischen ist das visuelle Gedächtnis bei Kindern mit Down-Syndrom sehr gut ausgeprägt.
Heute geht Lola in einen großen Kindergarten um die Ecke, zusammen mit 180 anderen Kindern. Dort kümmert man sich aufmerksam und liebevoll um sie. Dabei ist die Einrichtung nicht einmal als "integrativ" ausgewiesen. Dennoch haben die Erzieherinnen und Erzieher und vor allem die anderen Kinder Lola in ihre Mitte aufgenommen: Die pure Sympathie für das Mädchen mit den blonden Zöpfen hat entschieden.

Amelie Mahlstedt: Lolas verrückte Welt - Diagnose: Down-Syndrom
Gütersloher Verlagshaus, München 2014
222 Seiten, 17,99 Euro