Sachbuch

Die Schönheiten der Chemie

Mehrere Studenten in weißen Kitteln arbeiten in einem Labor. Eine Studentin hat einen Mörser in der Hand. Andere betrachten Reagenzgläser.
Mehrere Studenten in weißen Kitteln arbeiten in einem Labor. Eine Studentin hat einen Mörser in der Hand. Andere betrachten Reagenzgläser. © Picture Alliance / dpa / Jan Woitas
Von Gerrit Stratmann · 31.05.2014
Viele chemische Stoffe bieten mindestens zwei Seiten - so hilft Chinin gegen Malaria und sorgt in Gin Tonic für Genuss. In seinem reichlich bebilderten Buch bietet Klaus Roth einen wilden Ritt durch die Chemie.
Zur Sicherung des Handelsmonopols mit Muskat ließ die niederländische Verenigde Oost-Indische Compagnie (VOC) Mitte des 17. Jahrhunderts alle Muskatbäume auf den Molukken vernichten. Nur auf den Banda Inseln wurden noch Plantagen unter niederländischer Aufsicht betrieben. Dort mussten Sklaven aus den Kolonien die Arbeit verrichten, nachdem die Einheimischen fast alle getötet worden oder geflohen waren.
Auch wenn diese Episode der Gewürzkriege kaum mehr als eine Randnotiz ist in Klaus Roths "Chemischen Leckerbissen", sind es doch gerade solche historischen Hintergründe, die sein Buch zu einer außerordentlich spannenden Lektüre machen.
Es wird hydroxiliert, methyliert und oxidiert
In elf Aufsätzen erzählt er von den Besonderheiten einzelner Stoffe und Verbindungen, von Gewürzaromen bis zu künstlichen Süßstoffen. Sein Blick gilt dabei vor allem dem chemischen Charakter und Aufbau dieser Moleküle, und der oft langen Suche nach einem Weg, diese Stoffe im Labor zu synthetisieren, sie also aus einfachen Grundstoffen künstlich herzustellen, ähnlich wie sie im Organismus der Pflanzen auf natürlichem Weg heranwachsen.
Auch das sind oft verschlungene Geschichten, die Klaus Roth mit detaillierten chemischen Struktur- und Summenformeln begleitet, und auch mit dem entsprechenden Jargon aus dem Labor: Da wird reduziert, hydroxiliert, methyliert, oxidiert, geht es um Isotopeneffekte, Kompressionsmodule oder Dielektrizitätskonstanten. Starker Tobak für Leser ohne chemische Grundausbildung. Die Aufsätze sind als Beiträge für die Fachzeitschrift "Chemie in unserer Zeit" entstanden. Dort konnte Klaus Roth diese Kentnisse natürlich voraussetzen. Für die Buchausgabe gilt das nicht. Und so gibt es einige Seiten in den chemischen Leckerbissen, die nur schwer zu verdauen sind.
Wie misst man überhaupt Schärfe?
Durchhalten oder Querlesen dieser Passagen lohnt sich aber. Denn als ausgesprochen gut verdaulich kommen die Anekdoten und historischen Exkurse daher, die er über schnödes Wasser, das Nervengift Strychnin, den Zuckerersatzstoff Saccharin, über Paprika, die Pille oder Nikotin erzählt. Scharlatane preisen "belebtes", "vitalisiertes" oder "nasseres" Wasser an? Strychnin war einmal populär als Stärkungsmittel? Saccharin eine wertvolle Schmuggelware? Die Schärfe einer Paprika ist kein Geschmack, sondern ein Schmerz? Und wie misst man überhaupt Schärfe?
Auch das Chinin, das nur in der Rinde eines südamerikanischen Baumes vorkommt, hat mehrere Geschichten zu erzählen: eine medizinische als Heilmittel gegen Malaria, eine ökonomische, die wiederum das abenteuerliche Aufbrechen eines Handelsmonopols beinhaltet, und eine genussvolle als Inhaltsstoff von Gin Tonic.
Selten war der Drang so groß, ein Buch nach dem ersten Kapitel für immer wegzulegen, das sich oft liest wie ein Referat von Laborergebnissen. Aber noch größer war die Freude, weitergelesen zu haben, denn Klaus Roth präsentiert hier eine Mischung aus chemischen Fakten und "Stoffbiographien", die im weiteren Verlauf für jeden, ob Chemiestudent oder neugieriger Laie, reichlich Anregungen bereit hält.

Klaus Roth: Chemische Leckerbissen
Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2014,
229 Seiten, 29,90 Euro