Sachbuch: "Das kommunale Nagelstudio"

Sind Städte die besseren Unternehmer?

Ein Mitarbeiter der Hamburger Stadtreinigung stapelt am 04.02.2013 ausrangierte Fernseher und Monitore in einem Sammelcontainer für Elektroschrott auf dem Recyclinghof Bahrenfeld in Hamburg.
Ein typisch städtischer Betrieb: der Recyclinghof © picture-alliance / dpa / Christian Charisius
Michael Schäfer im Gespräch mit Florian Felix Weyh · 01.10.2016
Vom Gemeinde-Kino zum städtischen Energieversorger: Kommunen genießen nicht gerade den Ruf, Top-Unternehmer zu sein. Dabei gibt es in der Kommunalwirtschaft praktisch keine Korruption und einige kommunale Unternehmen arbeiten überraschend wirtschaftlich, berichten Michael Schäfer und Sven-Joachim Otto in ihrem Buch.
Nein, es gibt kein kommunales Nagelstudio, in dem man sich von einem Gemeindediener maniküren lassen könnte. Aber die Mär davon geistert dauerhaft durch die Medienlandschaft. Mit eindeutiger Stoßrichtung: Das wirtschaftliche Engagement von Städten und Gemeinden soll als überzogen und schädlich dargestellt werden.
Michael Schäfer und Sven-Joachim Otto verteidigen die Geschäfte des Staates als etwas grundsätzlich anderes denn eine gelenkte Staatswirtschaft: "Kommunale Wirtschaft in Deutschland ist eine dauerhafte Provokation für die ultraliberalen Marktideologen, die lieber an unsichtbare Hände glauben als an zwischenmenschliche Solidarität. Die realsozialistische Ära in einem Teil Deutschlands liefert in diesem Zusammenhang genug Munition für polemische Attacken, die 'öffentlich' und 'kommunal' zu 'sozialistisch' und 'Planwirtschaft' umdeuten, die negieren, dass auch kommunale Unternehmen den grundlegenden Mechanismen des Marktes unterliegen."

Kommune springt ein, wo sich Unternehmen zurückziehen

Kommunalwirtschaft – schon im 19. Jahrhundert als "Munizipialsozialismus" diffamiert – agiert im Bereich der Daseinsvorsorge. Dieser Begriff des Staatsrechtlers Ernst Forsthoff bezieht sich "auf gemeinwohlorientierte Leistungen, wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Art, an deren Erbringung die Allgemeinheit und der Staat ein besonderes Interesse haben."
Manches davon könnten private Unternehmen auch leisten. Oft haben sie daran jedoch kein Interesse. Umso schlimmer, wenn dann eine Stadt wie Schwedt an den Pranger gestellt wird, weil sie ein "kommunales Kino" betreibt – das einzige filmische Angebot weit und breit. Kommerzielle Kinobetreiber lassen bevölkerungsarme Gebiete links liegen, dem kommunalen Angebot in Schwedt gelingt es dagegen sogar, schwarze Zahlen zu schreiben.
Für die Autoren ist das ein Musterbeispiel sinnvoller Daseinsvorsorge, die heutzutage weiter gehen darf als nur die klassische Strom-, Gas- und Wasserversorgung. Auch die Bereitstellung eines breitbandigen Internetanschlusses kann heute eine kommunale Aufgabe sein. Denn in vielen Gebieten interessieren sich kommerzielle Anbieter überhaupt nicht dafür, diese für sie defizitäre Infrastruktur einzurichten.
Cover - Michael Schäfer und Sven-Joachim Otto: "Das kommunale Nagelstudio"
Cover - Michael Schäfer und Sven-Joachim Otto: "Das kommunale Nagelstudio"© Springer Verlag

Der Trend zur Privatisierung geht zurück

Nachdem zwei Jahrzehnte lang der Trend in Richtung Privatisierung lief, scheinen sich die Verhältnisse inzwischen umzukehren: Stadtwerke werden neu gegründet, einst billig veräußerte Wasserbetriebe teuer rekommunalisiert. In Umfragen vertrauen die meisten Menschen kommunalen Betrieben – vor allem der Energiewirtschaft – weit mehr als profitorientierten Großkonzernen.
"Die Apologeten eines reinen Marktes müssen sich eigentlich zutiefst einsam fühlen", konstatieren Schäfer und Otto. Und die Zahlen sprechen eine klare Sprache: "Von 2007 bis 2014 haben rund 200 Kommunen wieder selbst die Verantwortung für den Betrieb von Energienetzen übernommen. Im gleichen Zeitraum wurden rund 90 neue Stadtwerke gegründet."

Praktisch keine kommunale Korruption

Besonders interessant ist die laut den Autoren erstmalige "vergleichende Bestandsaufnahme zur Korruption in Kommunal- und Privatwirtschaft". So gab es etwa in Brandenburg zwischen 2009 und 2013 sechs Fälle von Vorteilsnahme in der Kommunalwirtschaft, dagegen 56 Bestechungsdelikte in der Privatwirtschaft. Auch in anderen Bundesländern fanden sich ähnliche Relationen.
Die Rechtsprechung behandelt den GmbH-Geschäftsführer eines kommunalen Unternehmens jedoch weitaus strenger als einen in der Privatwirtschaft. Der sich weithin eingebürgerte "funktionale Amtsträgerbegriff" stellt ihn mit echten Amtsträgern gleich. Damit gelten in der Kommunalwirtschaft ungleich schärfere Antikorruptionsregeln als in der Privatwirtschaft.
Die Autoren dazu: "Alle sechs Fälle in der Dimension einer angenommenen Einladung zum Essen und ohne Zusammenhang mit einer pflichtwidrigen Diensthandlung, also etwa einer konkreten Bevorzugung. In der Privatwirtschaft hätte es dazu nicht einmal eine Ermittlung gegeben. Aber diese Vergehen standen im Scheinwerferlicht und es gab auch Medienecho. Die 56 Verfahren in der Privatwirtschaft wiederum blieben praktisch ohne jede journalistische Beachtung. Was der normale Erdenbürger und Medienkonsument daraus schließt? 'Die Kommunalen sind korrupter.' Nach dem gleichen Mechanismus der bloßen Augenscheinnahme hat sich über Jahrtausende die Vorstellung gehalten, dass unsere Erde eine Scheibe sei."

Immer mehr Menschen wollen für "die Guten" arbeiten

Das zuweilen süffisante Buch liest sich wie ein Ruf nach mehr öffentlicher Aufmerksamkeit: "In diesem Zusammenhang muss angemerkt werden, dass sich auch im akademischen Diskurs kaum mit dem Phänomen der Kommunalwirtschaft auseinandergesetzt wird", merkt Michael Schäfer an, der an der Hochschule Eberswalde Kommunalwirtschaft lehrt.
Dabei ist das hässliche Entlein längst zum stolzen Schwan geworden, jedenfalls in den Augen von Bewerbern: "Die Motivation für 'die Guten' zu arbeiten, hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern eine sinnstiftende Orientierung auch abseits von Gewinn- und Verlustrechnung ermöglichen, haben momentan einen sehr starken Zulauf."
Für den regionalen Arbeitsmarkt haben Stadtwerke & Co. in vielen Gegenden eine herausragende Bedeutung. Und vor allem örtliche Handwerksbetriebe profitieren mit jährlich fast neun Milliarden Euro Investitionssummen der Kommunalwirtschaft ganz kräftig. "Wertschätzung statt Stigmatisierung", lautet daher die Forderung der Autoren.

Michael Schäfer, Sven-Joachim Otto: Das kommunale Nagelstudio. Die populärsten Irrtümer zu Stadtwerke & Co.
Springer Verlag, Heidelberg 2016
234 Seiten, 24 Euro

Mehr zum Thema