Sabri Louatah: "Die Wilden"

Packender Politthriller im heutigen Frankreich

Sabri Louatah: "Die Wilden"
Auf dem französischen Buchmarkt eingeschlagen wie ein Komet: "Die Wilden" ist ein rasanter Politthriller und zugleich ein soziales Fresko. © imago/Photocase; Randomhouse
Von Dina Netz · 13.02.2019
Sabri Louatah erzählt in "Die Wilden" die Geschichte einer algerischen Einwanderungsfamilie, deren Mitglieder bis in die höchsten Kreise Frankreichs aufsteigen. Ein rasanter Politthriller - und ein Roman über eine Gesellschaft kurz vor der Explosion.
Die Ausgangssituation von Sabri Louatahs Trilogie "Die Wilden" ähnelt der von Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung": Ein Moslem steht kurz davor, französischer Präsident zu werden. Er wäre der erste in der Geschichte. Anders als bei Houellebecq ist Louatahs Idder Chaouch ein Versöhner, der die sozialen Spannungen mildern will. Doch am Tag vor der Wahl wird ein Attentat auf Chaouch verübt, das er nur knapp überlebt.
Der Attentäter wird sofort gefasst, er heißt Abdelkrim Nerrouche. Und mit ihm rückt die aus Algerien stammende Familie Nerrouche ins Visier der Ermittler – eine weit verzweigte, schillernde Familie: Da ist Nazir, der düstere Abwesende, der in das Attentat verwickelt ist und bald zum "Staatsfeind Nummer 1" erklärt wird.

Weitreichende politische Intrige

Im Sog der Ermittlungen wird die ganze Familie unter Generalverdacht gestellt, auch Fouad, Nazirs jüngerer Bruder, immer schon dessen lebensbejahender Gegenpart, Bindeglied der Familie und erfolgreicher Schauspieler. Pikanterweise ist Fouad mit Idder Chaouchs Tochter liiert, so dass die Spannungen zwischen Opfern und (vermeintlichen) Tätern die berühmten allerhöchsten Kreise erreichen. Wie sich ohnehin herausstellt, dass der Anschlag auf Chaouch Teil einer weitreichenden politischen Intrige war, die Frankreich ins Chaos stürzen soll - was zumindest zeitweise auch gelingt.
In "Familientreffen", dem gerade erschienenen dritten und letzten Teil der Trilogie entwirrt Sabri Louatah nun das komplizierte Netz, das er in den ersten beiden "Wilden"-Bänden geknüpft hat. Die Auflösung kommt überraschend und fällt etwas banal aus, gemessen an dem Aufwand an Personal und Handlungssträngen, den der Autor zuvor betrieben hat. Dieser Einwand tut jedoch der Tatsache keinen Abbruch, dass Louatah ein bemerkenswertes Debüt vorgelegt hat. Mehr als 1400 Seiten umfasst seine Saga, und sicher hätte man an den Rändern noch etwas literarischen Wildwuchs beschneiden können. Aber insgesamt ist es erstaunlich, wie sicher, auch stilsicher, der 1983 geborene Autor seine Handlungsfäden knüpft.

Von ethnischen und sozialen Spannungen zerrissen

"Die Wilden" ist ein rasanter Politthriller und zugleich ein soziales Fresko. Louatah, der von der Gelbwesten-Bewegung beim Schreiben noch nichts wissen konnte, schildert zugleich packend die kriminalistische Aufarbeitung eines nahezu perfekten Verbrechens auf höchster Staatsebene und ein von ethnischen und sozialen Spannungen zerrissenes Frankreich, wo ein winziger Funken die finale Explosion auslösen kann.
Die Trilogie ist auf dem französischen Buchmarkt wie ein Komet eingeschlagen. Die Vergleiche reichen von der TV-Serie "Homeland" über Emile Zola bis zu Dostojewski und Tolstoi. Demnächst läuft im französischen Fernsehen eine Serie nach "Die Wilden" an. Diesen immensen Erfolg erklärt wohl vor allem Louatahs – bei aller beschriebenen Brutalität – wohlwollender Blick auf sein Personal: Im Unterschied zu Michel Houellebecq fühlt Sabri Louatah mit seinen Figuren, gibt ihnen Stimme und Ideale. Und, was vielleicht das Entscheidende ist: Hoffnung.

Sabri Louatah, "Die Wilden - Familientreffen"
Heyne 2019, 304 Seiten, 16 Euro

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