Saatguttauschbörsen

Alte Sorten entdecken, tauschen, Vielfalt erhalten

Von Alexandra Gerlach · 14.02.2017
Auf sogenannten Saatgut-Tauschbörsen tauschen und verschenken Hobby-Gärtner untereinander Samen. Das spart Geld und dient der Erhaltung von alten Kulturpflanzen. Regional erfolgreiche Sorten sind zudem robust und anpassungsfähig.
"Das sind eigentlich richtige Klosterbohnen, schön, sehr schön!", sagt Christine Stoll. Sie ist ganz in ihrem Element. Die gelernte Gärtnerin steht an einem der altrosa eingedeckten langen Tische im Meißner Hahnemannzentrum und berät eine Hobbygärtnerin im Rentenalter.
Seit zehn Jahren veranstaltet die Interessengemeinschaft "Lebendige Vielfalt – Netzwerk zur Erhaltung der Kulturpflanzen" diese Saatguttauschbörse und Christine Stoll ist die Organisatorin.
"Das machen wir schon seit einigen Jahren, dass wir Menschen anhalten, wenn Sie schöne alte Sorten in ihrem Garten haben, auch selbst Samen davon abzunehmen, schon früher war das gang und gäbe, dass man das eigene Saatgut wieder aussät und dann wird über den Gartenzaun getauscht. Und unsere Samentauschbörse ist einfach eine Erweiterung des Gartenzaunmodells, wenn man es so sieht."

"Saatgut ist Kulturgut"

Die Idee zu dieser Tauschbörse entstand im nahe gelegenen Tharandt, wo einst Hans Carl von Carlowitz sein Standardwerk zur Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft verfasste. Dort lebt die Biobäuerin Milena Müller. Seit 25 Jahren betreibt sie auf fünf Hektar Land Acker- und Weidewirtschaft sowie eine Gärtnerei, die ausschließlich mit samenfestem Saatgut arbeitet und dieses auch vermehrt.
"Also Saatgut ist Kulturgut, das sollten wir nicht vergessen, und im Samen ist die Vergangenheit und die Zukunft lebendig vereint und bereit, in der Gegenwart zu wachsen."
Viele alte Gemüsesorten, die derzeit nur noch in Saatgutbetrieben und Samenbanken sorgsam gehütet werden, müssten eigentlich ständig ausgesät und im Anbau erhalten werden, da sie sich sonst nicht weiterentwickeln und anpassen können, erklärt Milena Müller.
Die Saatguttauschbörsen könnten dabei helfen, dem drastischen Sortenschwund vor allem bei den Gemüsesorten entgegenzuwirken. Drei Viertel aller Sorten seien – auch in Folge der Arbeitsteilung - bereits verschwunden:
"Die Aufspaltung in Züchter und Gärtner und Züchter und Bauern, das hat erst Anfang des letzten Jahrhunderts begonnen, vorher haben das die Bauern selber gemacht und da hat eben jedes Tal, jeder Ort seine eigenen Sorten gehabt und man hat sie miteinander getauscht und verwendet, aber dadurch ist so eine große Vielfalt entstanden und erst mit der Entwicklung der modernen Züchtung hat man sich auf Sorten konzentriert oder auch neue Sorten entwickelt und dann sind einfach andere Sorten hinten runtergefallen."
Heute sind es in erster Linie die großen Konzerne, die Saatgut herstellen. Der Kunde erhält sogenannte Hybrid-Samen, die durch mehrfache Inzucht- und Selektionsverfahren gewonnen werden. Im Gegensatz zu samenfesten Sorten sind die Pflanzen hochleistungsfähig, gegen bestimmte Krankheiten resistent und homogener im Aussehen. Die Eigenschaften sind aber nur bei der Erstaussaat stabil. Der Nachbau lohnt also nicht.

Besser an den Standort angepasst

Samenfestes Saatgut lasse sich immer wieder verwenden und zudem weit besser an den Standort anpassen, sagt die Biobäuerin:
"Wenn man die hier gewinnt, dann haben sie hier natürlich wirklich einen Vorteil, dass sie mit diesem vielleicht raueren Vor-Erzgebirgsklima zurechtkommen. Ich weiß von Leuten, die gesagt haben, die Tomaten, die bei uns gezogen worden sind, sind im Erzgebirge wirklich gut geworden."
Hobbygärtnerin: "Was auch sehr schön ist, ist die Wunderblume, die kann ich empfehlen, in Gelb, in Bunt und in Weiß."
Zurück nach Meißen: Neben der Ruine des einst mächtigen Benediktinerinnenklosters "Zum Heiligen Kreuz", in der malerischen Elbaue, liegt das Hahnemannzentrum. Hier, gleich neben dem großen Kräutergarten, treffen sich an einem sonnigen Samstagnachmittag private Gemüse- und Blumenzüchter, um Saatgut zu tauschen.
"Ja, ich war noch nie bei so etwas, ich habe jetzt einfach aus dem Garten, was ich so an Samen geerntet habe, mitgebracht."
"Was ist denn das alles, was Sie mithaben?"
"Also ich habe hier rote Melde, dann Pastinake und Studenten, dieses kleinen, dann Mohn und diesen Rittersporn."
"Und suchen Sie selber auch etwas?"
"Ja, ich suche so seltene, so alte Gemüsesorten, Salatsorten und so Heilkräuter und so etwas, was man nicht so üblich in den Samen-Katalogen findet."
Zumindest bei den dominierenden großen Anbietern. Außerdem wird auf den Saatgutbörsen nicht gekauft, sondern getauscht - und zwar ausschließlich samenfestes Saatgut. Samenfest ist eine Pflanzensorte dann, wenn aus ihrem Saatgut Pflanzen wachsen, die dieselben Eigenschaften und dieselbe Gestalt haben wie deren Elternpflanzen. Das bedeutet, dass die Pflanze wie früher natürlich vermehrt wird.
Bestäubt wird sie durch Wind und Insekten. Das hier angebotene Saatgut durchläuft nicht die üblichen Reinigungsstandards und eine Keimgarantie gibt es auch nicht. Jedwede kommerzielle Nutzung ist ausgeschlossen.
Die Hobbygärtner auf der Meißner Tauschbörse stört das nicht. Interessiert beugen sie sich über die auf den Tischen fächerförmig ausgelegten und fein säuberlich beschrifteten Samentütchen aus Papier und durchsichtigem Plastik.
"Das sind hier auch die Zettel dazu, wie das zu handhaben ist."

Ungewöhnliche Tomatensorten

Fachgespräche werden geführt, iPads mit leuchtenden Fotos von bunten Blüten stolz herumgereicht. Es gibt Anbau- und Zubereitungstipps. Großer Andrang herrscht bei Sabine Hoffmann. Sie züchtet Tomaten, hat bereits 48 Sorten und bietet hübsch bunt aufgemachte "Tomatensamenüberraschungstütchen" an. Darin das Saatgut für ganz ungewöhnliche Tomatensorten:
"Horn der Anden rot, Chocolate, Omas Beste, Lila Sari, Orange Heart, Raspberry Miracle, Berner Rose, Hellfrucht, Anastasia, Pineapple Pig, unglaublich!"
Damit wird es auf dem Gemüsebeet bunter und in der Küche wächst die Vielfalt an Aromen und Inhaltsstoffen. Für alle Gartenfreunde, die selber mal ausprobieren möchten, wie man samenfestes Saatgut gewinnt, hat Tauschbörsen-Gründerin Milena Müller einen Tipp:
"Wenn wir Salat zum Beispiel haben, da isst man ja die Blätter. Wenn die schießen, dann nehmen die meisten ihre Salate raus. Lassen sie die einfach mal stehen und gucken Sie, was daraus sich entwickelt. Wenn ein Salat blüht, ist das mal ein ganz anderer Anblick, als man ihn gewohnt ist und nach den Blüten kommt dann logischerweise der Samen und den kann man dann auch schon ernten und fürs nächste Jahr verwenden."
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