Russland und USA dürfen Dialog über Syrien nicht unterbrechen

31.08.2013
Ein Stopp der amerikanisch-russischen Gespräche über das Vorgehen in Syrien wäre nach Meinung des russischen Politikwissenschaftlers Piotr A. Fedosov "verantwortungslos".Der Experte hofft, dass es beim kommenden G-20-Gipfel in Sankt Petersburg zu einem Treffen zwischen Barack Obama und Wladimir Putin kommt.
Ute Welty: Das rote Telefon stünde bereit – vor 50 Jahren ist diese direkte Verbindung zwischen Washington und Moskau eingerichtet worden. Wobei es sich nicht wirklich um ein rotes Telefon handelt, sondern um ein Telex. Man kommuniziert schriftlich miteinander, um Missverständnisse zu vermeiden. Stündlich wird diese Verbindung getestet, um sicher zu sein, dass sie einsetzbar ist. Und es wäre vielleicht dringend an der Zeit, dass Präsident Obama und Präsident Putin sie nutzen, um über Syrien zu sprechen. Bisher hat man den Eindruck, die beiden sitzen nicht 7830 Kilometer voneinander entfernt, sondern auf verschiedenen Planeten. Nach dem mutmaßlichen Giftgaseinsatz bereiten die USA sich auf einen möglichen Militärschlag gegen Assad vor, und Russland bleibt an der Seite Syriens. Warum das so ist, das kann uns Piotr Fedosov erklären, Politikwissenschaftler an der Akademie der Wissenschaft in Moskau. Guten Morgen!

Piotr Fedosov: Guten Morgen!

Welty: Ihr Präsident ist ein Mann mit vielen Fähigkeiten, das beweist er immer wieder in den unterschiedlichsten Situationen, aber es wirkt, Verzeihung, nicht sehr schlau, an jemandem wie Assad als Verbündeten festzuhalten, der doch eher Diktator als Demokrat ist.

Fedosov: Es geht bei dieser Frage nicht darum, wer Diktator ist und wer Demokrat ist. Es geht erstens um das Völkerrecht, das eben die Möglichkeit der Gewaltanwendung gegen souveräne Staaten ausschließt, ohne dass das vom Sicherheitsrat beschlossen worden ist. Und es geht zweitens um die elementare menschliche Logik. Keine Beweise liegen vor dafür, dass Giftgas durch Assads Armee verwendet wurde. Solange keine Beweise vorliegen, ist es ein Hohn, über die Strafe darüber zu sprechen. Es muss zunächst geklärt werden, wer bestraft werden soll.

Welty: Dann lassen Sie uns doch 'mal einen Moment in einem Gedankenspiel verharren. Sollten die UN-Inspektoren beleben können, ja, es war Giftgas, und ja, es liegt der Schluss nahe, dass dieses Giftgas vom syrischen Regime eingesetzt wurde. Ändert sich dann das russische Verhältnis zu Syrien?

Fedosov: Erstens sind das zu viele Konjunktivformen. Also wir wollen zunächst schauen, was daraus – was dann real nachgewiesen wird.

Welty: Aber Sie schließen es auch nicht aus, oder?

Fedosov: Bitte?

Welty: Sie schließen es auch nicht aus, dass sich das Verhältnis ändert im Falle des Falles?

Fedosov: Nichts ist auszuschließen im Moment. Obwohl eigentlich die Assad-Administration am wenigsten daran interessiert ist, jetzt die Vereinigten Staaten noch zusätzlich zu provozieren und ihnen einen triftigen Anlass zu geben, um Gewalt anzuwenden. Eigentlich durch einseitige Gewaltanwendung in Syrien kann nichts erreicht werden. Russland geht davon aus, dass das, was die internationale Gemeinschaft real machen wird, ist nur beide Seiten zum Frieden zu zwingen. Wenn die Amerikaner versuchen würden, die Opposition dazu zu veranlassen und Russland den Assad, dann könnte das ein Beginn von Verhandlungen werden, aus denen vielleicht etwas werden kann. Oder nichts, das ist ein sehr schwer lösbares Problem.

Welty: Außenminister Kerry, der amerikanische Außenminister hat gestern gesagt, dass bei diesem mutmaßlichen Giftgasangriff wahrscheinlich 1429 Menschen ums Leben gekommen sind – glauben Sie, dass der amerikanische Außenminister lügt, wenn er diese Zahl nennt?

Fedosov: Ich glaube nicht, dass er lügt, ich kann das nicht behaupten. Wir wissen aber aus den früheren Erfahrungen, zum Beispiel mit Irak, dass die amerikanische Administration dazu geneigt ist, gerne daran zu glauben, was ihren Interessen entspricht, und zuweilen auch selber lügt. Es wurde damals in Irak gelogen, das wissen wir heute ausgezeichnet, und warum sollen wir ausschließen, dass das heute dasselbe ist?

Welty: Aber warum sollte die amerikanische Führung einen solch gravierenden Fehler noch mal machen?

Fedosov: Ich habe den Eindruck, dass Obama das wirklich nicht will. Also er steht unter dem Druck der Militärs, das ist erkennbar, aber aus seinen Äußerungen kann man schließen, dass er der letzte ist, der wirklich will, sich noch einmal in eine militärische Aktion, in eine militärische Geschichte einzumischen, nachdem das in Irak und Afghanistan so schwerwiegende Folgen hatte. Daraus ergeben sich auch seine Zögerungen und Schwankungen.

Welty: Der Lackmustest ist ja das russische Abstimmungsverhalten im Sicherheitsrat. Hier haben Russland und China als russische Verbündete Vetorecht, das heißt, es wird keine Resolution geben ohne russisches Einverständnis. Was kann er befürworten und was muss er aus welchen Gründen ablehnen?

Fedosov: Beziehen Sie jetzt Ihre Frage auf Putin?

Welty: Ja.

Fedosov: Ich glaube schon gesagt zu haben und wiederhole das noch einmal: Ich vermute, ich vermute, das ist nur meine Annahme, ich bin kein Berater von Putin, also ich vermute, dass Russland keiner Resolution zustimmen wird, die Gewaltanwendung gegen Syrien, gegen das Assad-Regime grundsätzlich bejaht. Auch nicht in einer milden Form, denn wir haben ja auch die Erfahrung vom Irak und insbesondere von Libyen, wo es auch nicht um eine massive Militäraktion ging, wie in der Resolution des Sicherheitsrates, sondern um eine flugfreie Zone über Libyen. Und daraus ist dann eine Bombenaggression geworden, die das Regime vernichtet hat. Zustimmen könnte Russland einer Resolution, die eben diese beiderseitige Veranlassung der im Konflikt stehenden Seiten zum Frieden bejahen würde. Dafür könnte sich Russland meines Erachtens einsetzen.

Welty: Es ist keine Woche mehr bis zum G20-Gipfel in Sankt Petersburg mit Putin und mit Obama. Das bilaterale Treffen der beiden ist zwar abgesagt worden wegen des russischen Asyls für den amerikanischen Ex-Geheimdienstler Edward Snowden, aber das heißt ja nicht, dass die beiden gar nicht miteinander reden oder reden lassen. Kann sich dort noch mal ein Kommunikationsfenster oder sogar mehr auftun?

Fedosov: Ich glaube, es ist verantwortungslos, wenn man aus dem einen oder anderen auch wichtigen Grund aufhört, miteinander zu kommunizieren. Die Vereinigten Staaten und Russland sind viel zu wichtig für die Welt und auch füreinander vor allem, um den Dialog auch nur für eine kurze Zeit einzustellen. Ich hoffe deswegen, dass es zu Gesprächen kommen wird, dass beide Seiten in Sankt Petersburg noch einmal die Situation besprechen werden und dass gemeinsam weiter gesucht wird, um eine passende und effektive Möglichkeit der Einmischung der internationalen Völkergemeinschaft in den Konflikt in Syrien zu suchen. Man muss sich dessen bewusst sein, dass die Situation in Syrien wirklich sehr kompliziert ist. Es ist nicht der Kampf von einem Regime gegen sein Volk und nicht der Kampf des Volkes gegen sein Regime. Es ist ein Kampf zwischen verschiedenen Teilen des Volkes, das sehr bunt zusammengesetzt ist. Es gibt in Syrien eine größere schiitische Minderheit, eine christliche Minderheit, eine kurdische Minderheit, und die unterstützen das Regime von Assad, weil das, was nach Assad kommen wird im Falle des Sieges der Opposition, für sie noch schlimmer ist. Das erschwert die Situation und macht das Problem so schwer lösbar. Aber Gewaltanwendung und Bomben werden dabei bestimmt die Situation nicht erleichtern.

Welty: Sagt der russische Politikwissenschaftler Piotr Fedosov im Interview der Ortszeit, für das ich herzlich danke! Einen guten Tag nach Moskau!

Fedosov: Danke schön!

Welty: Und Syrien ist als das Thema der Woche auch Thema des Kommentars hier in der Ortszeit, in einer guten Viertelstunde.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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