Russland

Nordkaukasus im Visier der IS-Miliz

Ein Anhänger des IS mit der Flagge der Miliz
Ein Anhänger des IS: Wird die Gruppe zur Bedrohung für Russland? © afp
Von Florian Kellermann · 16.07.2015
Die Organisation "Kaukasisches Emirat" hat sich der Terror-Miliz IS angeschlossen - und im Nordkaukasus ein neues Gouvernement ausgerufen. Das könnte die Region weiter destabilisieren, befürchten Moskauer Sicherheitsexperten.
Die Organisation "Kaukasisches Emirat" gibt es seit acht Jahren. Sie beansprucht den Nordkaukasus für sich, ein Gebiet, das zur Russischen Föderation gehört. Es schließt unter anderem die Republiken Tschetschenien, Dagestan und Inguschetien ein.
Kontrolle über das Gebiet hat die Organisation nicht, sie machte vielmehr mit Terroranschlägen von sich reden. So bekannte sie sich zu einem Bombenanschlag auf dem Moskauer Flughafen Domodjedowo vor vier Jahren. 37 Menschen starben.
Zuletzt wurde es eher ruhig um das "Kaukasische Emirat". Russische Sondereinheiten spürten immer wieder Verstecke der Terroristen auf. Dabei halfen ihnen die Kämpfer von Ramzan Kadyrow, dem Putin-treuen Oberhaupt von Tschetschenien. Das galt bis vor einigen Wochen.
Seitdem sind die Islamisten wieder Top-Thema in russischen Medien. Denn über eine Botschaft im Internet haben sie sich der Organisation Islamischer Staat angeschlossen. Die Antwort von dort kam prompt: Deren Sprecher Abu Muhammad Al-Adnani erklärte die selbsternannten Gotteskrieger zu Mitgliedern des Islamischen Staates und rief im Nordkaukasus ein neues Gouvernement aus.
Auch der Kaukasus-Experte des Moskauer Carnegie-Zentrums, Aleksej Malaschenko, sieht darin eine wachsende Gefahr für Russland:
"Im Moment vermögen die Islamisten im Nordkaukasus noch nicht viel. Sie können weder eine islamistische Bewegung anstoßen noch eine separatistische. Aber sie können die Lage in dem Gebiet destabilisieren. Außerdem gehe ich davon aus, dass sie eine Serie von Terroranschlägen planen. Denn nur so können sie derzeit ihre Stärke, ihre Macht demonstrieren."
Islamisten bitten IS um Waffen und neue Krieger
In ihrer Botschaft bitten die russischen selbsternannten Gotteskrieger den Islamischen Staat um Unterstützung. Damit meinen sie nicht nur Nachschub an Waffen, sondern auch neue Kämpfer. Das Antiterroristische Zentrum der GUS-Staaten geht von bislang rund 5.000 russischen Staatsbürgern aus, die in den Irak und nach Syrien gereist sind und sich dort der Organisation Islamischer Staat angeschlossen haben. Wenn sie zurückkehren, dann nicht nur als ausgebildete und erfahrene Krieger. Sie werden auch radikalere Islamisten sein als vor ihrer Reise, sind sich nicht nur russische Fachleute sicher.
In der Regel reisen die russischen Staatsbürger über die Türkei in den Nahen Osten. Trotzdem sei es kaum möglich, ihre Routen zu kontrollieren, sagte der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates Nikolaj Patruschew in einem Interview. Damit allerdings stieß er bei ehemaligen Kollegen auf scharfe Kritik, zum Beispiel bei Alexej Kondaurow, einem pensionierten Generalmajor des Sowjetgeheimdienstes KGB.
"Offenbar sind die russischen Geheimdienste in einem schlechten Zustand. Patruschew sagt, dass sie nichts ausrichten können. Und im gleichen Interview erklärt er, dass doch die Vereinigten Staaten heute der Hauptgegner Russlands seien. Dabei könnte es hier sehr helfen, die Arbeit zu koordinieren. Die USA wären doch natürliche Verbündete im Kampf gegen den Islamischen Staat. Aber wir erklären sie zu einem Feind."
Kommt Putin die Bedrohung gar nicht so ungelegen?
Es gibt sogar Stimmen, die der russischen Regierung vorwerfen, ihr komme die Bedrohung durch den Islamischen Staat eigentlich gar nicht so ungelegen. Zugleich erinnern sie daran, dass Präsident Wladimir Putin immer dann an Popularität gewann, wenn er sich den Kampf gegen den Terrorismus auf die Fahnen schrieb. Wie alles in Russland werde auch das Problem "Islamischer Staat" innenpolitisch ausgenutzt, sagt Carnegie-Experte Malaschenko.
"Das wird genutzt, um Druck auf die islamischen Gemeinden auszuüben. Sie sollen sich zum Staat und zur Regierung bekennen, lautet die Forderung. Dieses Argument wird dann auf die ganze Gesellschaft erweitert. Eine der ideologischen Grundlagen unserer Staatsmacht ist ja, dass Russland von Feinden umlagert ist. Und dass wir uns deshalb um die Staatsmacht scharen sollen."
Vom sogenannten Islamischen Staat geht allerdings eine weitere, größere Gefahr aus, über die in Russland bisher allerdings kaum jemand laut redet. Der IS fasziniert nämlich auch diejenigen Kämpfer im Kaukasus, die gegenwärtig treu zu Putin stehen. Viele Kämpfer in Diensten des tschetschenischen Präsidenten Kadyrow machen - zumindest im persönlichen Gespräch - daraus kein Hehl. Und das sei nicht verwunderlich, räumen Beobachter ein. Denn: Hier wie dort werde eine radikale, anti-westliche Rhetorik gepflegt. Öffentlich gibt sich Kadyrow zwar als scharfer Widersacher des Islamischen Staates. Das seien gar keine Muslime, erklärt er, außerdem sei die Organisation von westlichen Geheimdiensten gesteuert. Doch niemand kann heute garantieren, dass die Stimmung in Tschetschenien, im latent unruhigen Nordkaukasus insgesamt, nicht doch irgendwann einmal kippt - und die Islamisten einen noch größeren Zulauf erhalten.
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