Russland

Für den guten Zweck − eine Sozialunternehmerin in Moskau

Unternehmerin Darja Aleksejewa in ihrem "Charity-Shop".
Unternehmerin Darja Aleksejewa in ihrem "Charity-Shop". © Deutschlandradio / Gesine Dornblüth
Von Gesine Dornblüth · 26.10.2015
Russlands Wirtschaft schrumpft, die Preise klettern in die Höhe, die Armut steigt. Viele talentierte junge Menschen verlassen das Land. Trotzdem entsteht eine Schicht engagierter Menschen, die ihr Land voranbringen wollen. Darja Aleksejewa ist eine von ihnen.
Michail ist zufrieden. Er reicht der Verkäuferin die Papiertüte zurück. Das soeben erworbene Kaschmir-Sacko behält er gleich an. Umgerechnet zehn Euro hat er dafür bezahlt.
"Ich bin nicht reich, will aber trotzdem gut aussehen. Es gibt viele Second Hand Läden in Moskau, aber in diesem sind die Sachen am besten erhalten. Wenn der Erlös auch noch einem guten Zweck dient, ist das umso besser."
Der kleine Laden heißt "Charity Shop". Zwei davon gibt es in Moskau. Das Unternehmen sammelt und sortiert Kleiderspenden. Den größten Teil gibt es weiter an Waisenhäuser oder Wohltätigkeitsorganisationen. Was zerschlissen ist, geht ins Recycling, kaputte Winterjacken an das Tierheim, als Polster für die Hundehütten. Exquisite Markenartikel dagegen werden verkauft, erläutert die Gründerin des Unternehmens, Darja Alexejewa: High Heels aus rotem Lack. Abendkleider. Schmuck.
"Es hat keinen Sinn, einem Obdachlosen einen weißen Kaschmirmantel zu geben, denn er hat kein Geld, um ihn zu reinigen. Da verkaufen wir das Teil besser."
Der Erlös fließt in den laufenden Geschäftsbetrieb, der zu einem großen Teil auf Wohltätigkeit beruht. Denn Darja Alexejewa ist Sozialunternehmerin. Sie will nicht ihren Gewinn maximieren, sondern etwas für die Gesellschaft tun. Sie beschäftigt 15 Mitarbeiter, darunter sieben, die anderswo kaum eine Chance hätten, Arbeit zu finden.
"Drei sind Analphabeten, einer spricht fast nicht, einer saß im Gefängnis, zwei sind obdachlos. Natürlich muss man sich ein bisschen umstellen. Die Analphabeten sind in Waisenhäusern für behinderte Kinder aufgewachsen. Dort gibt es bis heute keine Schulen. Sie können überhaupt nicht lesen. Denen kann man nicht sagen: Bring mir mal den Karton, auf dem 'Oberbekleidung' steht. Wir haben deshalb ein Farbsystem eingeführt und markieren alle Kartons mit Aufklebern. Wir sagen dann: Bring mir bitte einen roten Karton. Und das heißt, einen Karton mit schlechter Kleidung. Das ist eigentlich ganz einfach."
"Niemand kann mehr sicher seine Karriere planen"
Darja Alexejewa lächelt. Sie ist 26 Jahre alt. Nach dem Studium an einer Finanzhochschule hat sie zunächst in einer Wohltätigkeitsorganisation gearbeitet. Dann merkte sie, dass ihr das Kaufmännische mehr liegt. In nur einem Jahr hat sie in Moskau ein riesiges Netz von Lieferanten und Abnehmern aufgebaut. Kleiderboxen des Charity Shop stehen in den Zentralen von mehr als vierzig Großunternehmen in Moskau. Deren Mitarbeiter spenden fleißig.
Alexejewa kooperiert mit dem größten Einkaufszentrum Moskaus. Die Kunden liefern dort Altkleider ab und erhalten im Gegenzug Rabatte beim Einkauf.
In Moskau treffen sich die Sozialunternehmer im Impact Hub, einer Art Brutstätte für sozial verantwortliche Geschäftsleute. Dessen Chefin, Anastasija Guljawina, glaubt, dass vor allem die jungen russischen Unternehmer allmählich zu mehr gesellschaftlicher Verantwortung heranreifen. Und die wirtschaftliche Krise begünstige das.
"Früher kam es vor, dass ein Studienfreund zu dir sagte: Wir haben gemeinsam die Finanzakademie abgeschlossen. Ich arbeite als Investmentbanker, und du Dummerchen sitzt da mit deiner Stiftung. Jetzt aber werden viele Leute entlassen, und auch wenn du in einem russischen Großunternehmen viele Rubel verdienst, kannst du dir wegen der Inflation und des sinkenden Rubelkurses viel weniger leisten als noch vor einem Jahr. Das wirkt sich auf das Bewusstsein aus. Niemand kann mehr sicher seine Karriere planen."
"Geld interessiert mich, aber manchmal ist Wohltätigkeit wichtiger"
Guljawina kennt mehrere Dutzend junge Leute zwischen 25 und 30 Jahren, die nach der Universität beschlossen haben, ein sozial orientiertes Unternehmen in Russland zu gründen.
Darja Alexejewa, die Gründerin des Charity Shop, wird in Moskau demnächst einen dritten Laden aufmachen. Sie bereitet einen Online-Verkauf vor und will in die russischen Regionen expandieren. Mit ihrem unternehmerischen Talent könnte sie viel Geld verdienen.
"Geld interessiert mich schon, natürlich. Ich bin schließlich Geschäftsfrau. Aber manchmal ist Wohltätigkeit wichtiger. Ich könnte auch Freiwillige finden, die ehrenamtlich Altkleider sortieren. Aber ich stelle lieber Obdachlose ein und bezahle sie. Denn für sie geht es um Leben oder Tod."
Mehr zum Thema