Russischer Menschenrechtler Arsenij Roginskij

Der Gründer von Memorial ist tot

Der Historiker, ehemalige sowjetische Dissident und Präsident der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, Arseni Roginski, ist tot.
Der ehemalige Präsident der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial, Arsenij Roginskij, ist tot. © AFP/Alexander NEMENOV
Von Gesine Dornblüth · 18.12.2017
Die Aufarbeitung der Verbrechen der Sowjetunion war das Lebensthema von Arsenij Roginskij. So hatte er Ende der 1980er-Jahre mit Gleichgesinnten die Menschenrechts-Gesellschaft Memorial gegründet. Jetzt ist der russische Historiker im Alter von 71 Jahren in Israel gestorben.
Meine Interviews mit Arsenij Roginskij liefen stets nach dem gleichen Ritual ab. Er bat mich in sein verrauchtes Zimmer in der hintersten Ecke des Büros von Memorial in Moskau. Er ließ sich die Frage stellen, entschuldigte sich dann und rauchte in Ruhe eine Zigarette. Roginskij dachte nach. Und erst, als die Zigarette aufgeraucht war, sprach er ins Mikrophon, stets auf den Punkt, stets mit dem Anflug eines Lächelns im Gesicht. Ich habe ihn als einen durch und durch freundlichen Menschen kennengelernt. Gern zitierte er den Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow.
"Er hat einmal gesagt, die einzige Garantie für Frieden auf der Welt ist die Einhaltung der Menschenrechte in jedem einzelnen Land. Deshalb kennen Menschenrechte keine Staatsgrenzen."

Vier Jahre Haft wegen "Dokumentenfälschung"

Die Aufarbeitung der Verbrechen der Sowjetunion war Roginskijs Lebensinhalt. Vielleicht, weil er in seinem Leben selbst genug Unrecht erfahren hatte. Sein Vater, ein Ingenieur aus Leningrad, war unter Stalin in den Norden Russlands verbannt worden, dort kam Arsenij Roginskij 1946 zur Welt. Er wurde Historiker. In den 70er-Jahren begann er, verbotene historische Literatur im Selbstverlag herauszugeben. Nach einer Hausdurchsuchung verlor er seine Arbeit, ihm wurde die Ausreise aus der Sowjetunion nahegelegt. Roginskij weigerte sich und wurde wegen angeblicher Dokumentenfälschung zu vier Jahren Haft verurteilt. Darüber sprach er nicht gern. Ihm ging es um die systematische, wissenschaftliche Aufarbeitung des Gulags, jenes Staatsterrors, der Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Ende der 80er-Jahre gründete Roginskij deshalb mit Gleichgesinnten die Historische und Menschenrechts-Gesellschaft Memorial, deren Vorsitzender er fast zwanzig Jahre war. Die Menschen in Russland würden zwar der Opfer des Terrors gedenken, sagte er...
"Aber den meisten Leuten ist nicht klar, was Terror bedeutet. Für sie ist Terror etwas wie die Pest im Mittelalter oder wie die Cholera, die plötzlich auftritt und Tod bringt. Die Menschen nehmen nicht wahr, dass es sich um Staatsterror handelte. Und dass der Staat der Verbrecher war."

Hausdurchsuchungen zehrten an Roginskijs Kräften

Einen freiheitlichen Staat könne man nur aufbauen, wenn die Bürger die Unfreiheit der Vergangenheit reflektierten – das war Roginskijs feste Überzeugung. Diese Haltung brachte Memorial Ärger ein. Denn die russische Führung unter Präsident Putin sieht die Vergangenheit als eine Abfolge von Siegen, eine kritische Aufarbeitung der Verbrechen des Staates ist nicht vorgesehen. Memorial wurde denn auch schnell ins Register ausländischer Agenten eingetragen, wurde mit unzähligen Verfahren überzogen, mit Bußgeldern belegt. Auch Hausdurchsuchungen zehrten an Roginskijs Kräften.
Verbündete fand er im Westen, vor allem in Deutschland. Roginskij war der Ansicht, dass die deutsche und die sowjetische Totalitarismuserfahrung die Menschen verbindet.
"Wir sind uns über all die Jahre so nahe gekommen. Die deutsche Sektion von Amnesty international, der Deutsch-russische Austausch, das EU-Russland-Forum und viele andere deutsche Stiftungen – mit ihnen haben wir Beziehungen, die so schnell nicht kaputt zu machen sind. Dazu müsste schon ein Eiserner Vorhang fallen, und so weit wird es hoffentlich nicht kommen."
Arsenij Roginskijs besonnene und aufrichtige Stimme wird im Kampf für Menschenrechte und Demokratie fehlen.
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