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Schule
Konzepte gegen sexuellen Missbrauch

Der sexuelle Missbrauch von Kindern an Schulen ist durch die Skandale etwa am Canisiuskolleg oder der Odenwaldschule ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Es wird deshalb daran gearbeitet, Schutzkonzepte zu entwickeln. Wie das konkret aussehen könnte wurde beim Bundesfamilienministerium diskutiert.

Von Claudia van Laak | 09.11.2015
    Eine Handpuppe auf einer Liege in einem Untersuchungsraum in der Kinderschutzambulanz
    Konzepte zur Prävention von sexuellem Missbrauch werden gesucht. (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Die Statistiken sind eindeutig: In jeder Klasse sitzt mindestens ein Kind, das bereits Opfer sexueller Gewalt geworden ist – in den meisten Fällen im familiären Umfeld. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, bietet deshalb allen Schulen seine Hilfe an:
    "Wir wollen Schulen Mut machen, sich dem Thema dauerhaft und ernsthaft anzunehmen. Wir wollen Schulleitungen unterstützen, ihr Kollegium für Prävention und für Schutzkonzepte zu gewinnen. Und auch Eltern und Schülerinnen und Schüler einzubeziehen."
    Etwa jede zehnte Schule in Deutschland verfügt derzeit über ein Schutzkonzept. Darin ist zum Beispiel geregelt, dass Schüler und Lehrer getrennte Duschen benutzen sollen, wie sich Sportlehrer verhalten müssen, wenn sie ältere Schülerinnen an Brust und Po berührt haben und ob zum Beispiel Projektunterricht auch in der Wohnung des Lehrers stattfinden darf. Wichtig ist die Transparenz, sagt der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung.
    "Wenn nämlich ganz klar ist, was gewollt ist und was zu unterlassen ist, wenn das für eine Schule geklärt ist. Wenn eine Schule sich selbst für sich klärt, dann besteht auch eine größere Sicherheit bei allen Beteiligten."
    Viel Verunsicherung auch bei den Lehrern
    Nachdem die Missbrauchsskandale am Berliner Canisius-Kolleg, an der Odenwaldschule und an weiteren Schulen und Internaten aufgedeckt worden waren, wurden viele Lehrerinnen und Lehrer unsicher. Wie nah soll ich, wie nah darf ich meinen Schülern noch kommen? Ist es jetzt verboten, die Kinder in den Arm zu nehmen? Wie viel Nähe ist nötig, wie viel Distanz?
    "Also, das ist eine Erfahrung, die ich auch gemacht habe und die nicht nur bei Lehrern, sondern leider auch inzwischen bei vielen Vätern die Frage ist. Darf ich überhaupt noch mit meinem Kind in die Badewanne gehen, bis zu welchem Alter ist das in Ordnung? Und ich gebe dann immer den Rat, bei sich zu bleiben. Wir alle sind erwachsen und wir alle spüren die Grenze, wenn wir an sie kommen, genau. Wenn ich jetzt einen Schritt weiter gehe, ist es zu weit."
    Erklärt Tamara Luding, Leiterin des Vereins Schutzhöhle aus Hof in Oberfranken. Die Pädagogin hat ein Präventionsprojekt entwickelt und geht damit an weiterführende Schulen. Zuerst zeigt sie einen Film, dann fordert sie die Schülerinnen und Schüler auf, sich in kleinen Gruppen zusammenzufinden und Fragen aufzuschreiben, die diese einem Missbrauchsopfer stellen würden.
    "Ich laufe dann da herum und ich habe dann immer eine Gruppe, wo als Frage steht: Wie alt warst du, wer war der Täter? Die Standardfragen. Wir gehen dann ins Plenum zurück. Und ich fordere die Gruppe auf, diese Fragen zu stellen. Und dann antworte ich in der Ich-Form."
    Denn Tamara Luding ist selber Betroffene, sie wurde jahrelang von ihrem Stiefbruder sexuell missbraucht. Wenn sie das erzähle, könne man in der Klasse eine Stecknadel fallen hören, sagt die Pädagogin. Alle hörten aufmerksam zu.
    "Es tut den Schülern gut. Und es funktioniert. Und meine Geschichte ist einfach geheilt."
    Suche nach passenden Konzepten
    Tamara Luding warnt allerdings davor, es bei einem einzelnen Präventionsprojekt zu belassen. Das ist keine Schluckimpfung, sagt die Leiterin der Beratungsstelle Schutzhöhle, diese Themen müssen dauerhaft im Bewusstsein von Lehrerinnen, Schülern und Eltern verankert werden. So sieht es auch der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig:
    "Es braucht einen Plan, um Täterstrategien durchkreuzen zu können. Täter planen ihre Tat, auch an Schulen, sehr genau. Und wenn es ein Schutzkonzept gibt und klare Regeln, dann ist es für potenzielle Täter und Täterinnen erheblich schwieriger, ihre Tat umzusetzen. Dazu gehört auch, dass das Thema offen angesprochen wird. Schweigen hilft nur den Tätern."
    Rörig hofft auch auf mehr finanzielle Unterstützung für Präventionsprojekte wie die des Vereins Schutzhöhle in Hof. Eine dauerhafte Förderung gebe es nicht, erläutert Leiterin Tamara Luding – im Sommer stand die Beratungsstelle deshalb vor dem Aus, sie konnte sich nur durch private Spenden retten.