Russisch-orthodoxe Weihnachten

"Enge Beziehungen zwischen Staat und Kirche"

Wladimir Putin und Patriarch Kirill, Oberhaupt der russisch-orthodoxe Kirche.
Wladimir Putin und Patriarch Kirill, Oberhaupt der russisch-orthodoxe Kirche © picture alliance / dpa - Maxim Shipenkov
Theologe Thomas Bremer im Gespräch mit Ute Welty · 07.01.2017
Die russisch-orthodoxe Kirche feiert Weihnachten erst am 6. und 7. Januar. Auch Präsident Wladimir Putin geht zum Fest in der Kirche. Nicht nur das zeige, wie eng die Beziehung zwischen Kirche und Staat sei, erklärt der Ostkirchenkundler Thomas Bremer.
Im heutigen Russland gibt es nach Einschätzung des Ostkirchenkundlers Thomas Bremer eine enge Beziehung zwischen Staat und Kirche. Das äußere sich nicht nur darin, dass Präsident Wladimir Putin am heutigen russisch-orthodoxen Weihnachtsfest am Gottesdienst in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale teilgenommen habe.

Kirche und Staat setzen auf Unterstützung des Volkes

"Wir wissen natürlich nicht, wie tief die Religiosität von Putin wirklich ist", so der Wissenschaftler im Deutschlandradio Kultur. Aber Putin sei Kirchgänger und nicht nur zu Weihnachten in der Kirche. Wichtiger sei, dass sowohl die Kirche als auch die Regierung in den meisten Fragen relativ große Zustimmung von Seiten der Bevölkerung genießen. "Die Kirche versteht sich als Vertreterin des russischen Volkes, aller Orthodoxen und damit der großen Mehrheit, und sieht die jetzige Regierung als eine Regierung, die diese Interessen auch hochhält und vertritt", so Bremer, der Professor für Ökumene, Ostkirchenkunde und Friedensforschung an der Universität Münster ist.
Die russisch-orthodoxe und die serbisch-orthodoxe Kirche halten am alten julianischen Kalender fest. Sie feiern Christi Geburt am 6. und 7. Januar. Dieser Unterschied sei inzwischen auch eine Frage der Identität, erklärt Bremer. "Man sagt dann, das Andere ist westlich, und das ist unser Weihnachten sozusagen."

Rückbesinnung auf das Religiöse

Die Kommunisten hatten versucht, Weihnachten und andere religiöse Feste abzuschaffen und durch bürgerliche Feste wie Neujahr zu ersetzen. "Doch nach der Wende war es so, dass viele Menschen eine neue Identität, eine neue Beheimatung gesucht haben, und viele haben die eben in der Kirche gefunden", so Bremer. Zu Bedenken gab der Wissenschaftler aber, dass die Kirche in Russland zwar hohes Ansehen genieße, die Anzahl derer die regelmäßig in die Kirche gehen, sei aber nicht viel höher als bei uns.
(utz)


Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Frohe Weihnachten – entweder ist man mit diesem Wunsch deutlich zu spät oder viel zu früh, aber nur, wenn man sich ausschließlich auf den katholischen oder evangelischen Teil der Welt beschränkt. Die russisch-orthodoxe Kirche feiert dagegen genau an diesem Wochenende. Erst vor ein paar Stunden dürften die Weihnachtsmessen zu Ende gegangen sein – wobei die Kirchen in Russland deutlichen Zulauf erleben. Warum das so ist, das kann ich jetzt mit Thomas Bremer besprechen, Professor für Ökumene, Ostkirchenkunde und Friedensforschung an der Universität Münster. Guten Morgen!
Thomas Bremer: Guten Morgen!
Welty: Wie muss ich mir eine russisch-orthodoxe Weihnachtsmesse vorstellen?
Bremer: Also ich würde schon damit anfangen, dass ich den Begriff Messe nicht verwende, weil der eigentlich nur im evangelischen oder vor allem im katholischen und im evangelischen Bereich verwendet wird. Eine Weihnachtsliturgie ist eigentlich sozusagen der normale Ablauf der Liturgie mit Abendgottesdienst, gestern Abend und dann heute früh große Liturgie, Eucharistiefeier. Ein bisschen entsprechend im Stil der byzantinischen Tradition, also mit viel Kerzen, mit viel Weihrauch, mit viel Gesang. Aber wenn man sich die Texte ansieht und die Reihenfolge, dann ist es ein bisschen wie bei uns, kann man eigentlich sagen, obwohl es nach außen hin ganz anders aussieht.
Welty: Worauf gründet sich der Zulauf, den die Kirchen seit Jahren verzeichnen? Mit der Revolution von 1917 ist Weihnachten ja erst mal abgeschafft worden.

Kommunisten haben versucht, Weihnachten abzuschaffen

Bremer: Ja, die Kommunisten haben versucht, Weihnachten und andere religiöse Feste abzuschaffen und zu ersetzen durch bürgerliche Feste. Und es war natürlich sehr praktisch, dass man dann Neujahr in der Nähe von Weihnachten hat und den 1. Mai in der Nähe von Ostern, und man hat das versucht umzugestalten. In der Bevölkerung ist das natürlich bei vielen Menschen noch irgendwie erhalten geblieben, in den letzten Jahren des Kommunismus vielleicht nicht mehr so stark. Nach der Wende war es so, dass viele Menschen eine neue sozusagen Identität oder eine neue Beheimatung gesucht haben, und viele haben die eben in der Kirche gefunden. Wobei man sagen muss, dass die Kirche zwar in Russland ein hohes Ansehen genießt und große Zustimmung, und viele Menschen sagen, sie seien orthodox, aber der aktive Kirchenbesuch ist auch nicht viel höher als bei uns.
Welty: Die großen Geschenke, Sie haben es gerade gesagt, die gibt es an Silvester, an Neujahr. In welcher Konkurrenz befindet sich also dann das orthodoxe Weihnachtsfest?
Bremer: Es ist natürlich immer schön, wenn man was zu feiern hat, und deswegen haben viele das so genommen, dass sie eben dann nach wie vor beides feiern oder jetzt beides feiern. Und es ist ein bisschen anders dadurch, dass die Russen ja Neujahr wie wir am 1. Januar haben, sodass das Neujahrsfest vorausgeht. Man hat dann den Baum oft schon an Neujahr stehen und hat dann eben sozusagen eine Feierwoche, die Silvester anfängt und die bis in die nächsten Tage weitergeht. Und wenn man Epiphanie oder Theophanie, also das Fest, das bei uns am 6. Januar ist, noch dazurechnet, dann hat man jetzt eine 14-tägige Weihnachtszeit vor sich.
Welty: Diese Kombination birgt ja auch Widersprüche, denn Silvester und das Familienfest mit viel Essen und auch Alkohol, das passt ja nicht zu der Fastenzeit, die dem Weihnachtsfest ursprünglich vorausgeht. Wie konstruiert man sich da aus dieser Zwickmühle heraus?
Bremer: Das hängt natürlich ein bisschen davon ab, wie streng die einzelnen Familien das Fasten beachten. Die Fastenzeit gibt es heute noch, und streng Gläubige fangen erst am heutigen Tag nach dem Gottesdienst an, Fleisch zu essen, und nicht nur Fleisch, sondern auch überhaupt alle tierischen Produkte – also Fisch und Eier und Käse und so weiter – und haben bisher die letzte Wochen vegan gelebt. Man kann da auch ganz gut kochen und man kann auch Silvester, das Neujahr gut feiern, ohne Fleisch und ohne tierische Produkte zu essen.
Welty: Halten Sie es für realistisch, dass das Weihnachtsfest, das orthodoxe Weihnachtsfest, vielleicht sogar aus diesem Grund irgendwann mal verlegt wird?

Orthodoxes Weihnachten dient zur Abgrenzung vom Westen

Bremer: Die Tatsache, dass man orthodoxes Weihnachten am heutigen Tag, am 7. Januar feiert – ist ja nicht nur bei den Russen übrigens so, sondern auch bei einigen anderen orthodoxen Kirchen, nicht bei allen, aber bei den Serben ist es so, bei den Georgiern –, hat auch viel zu tun mit Identität. Das heißt, man sagt dann, das andere ist westlich und das ist unser Weihnachten sozusagen. Wenn man lange Geduld hat, dann wird man erleben, dass das orthodoxe Weihnachtsfest immer weiter nach hinten wandert, weil die Kalender sich immer mehr unterscheiden, und pro hundert Jahre gibt es einen Tag Unterschied. Das heißt, in einer Reihe von Jahrhunderten wird man Weihnachten dann im Sommer haben. Und ich glaube nicht, dass es so weit kommen wird, sondern dass man sich da vorher auf einen neuen Kalender einigen wird. Aber es ist eben nicht nur eine astronomische und Kalenderfrage, sondern es ist eine Frage der Unterscheidung vom Westen.
Welty: Noch wird vom 6. auf den 7. Januar gefeiert. Der russische Präsident nimmt an der Liturgie in der Christ-Erlöser-Kirche in Moskau teil, die auch im Fernsehen übertragen wird, und es gibt ja eh eine enge Verbindung zwischen Präsident und Patriarch. Was bedeutet das politisch?

Kirche sieht sich als Vertreterin des russischen Volkes

Bremer: Das ist tatsächlich so, dass es diese enge Beziehungen zwischen Staat und Kirche gibt, die auch damit zusammenhängen, dass beide Einheiten und auch der Kurs des Präsidenten – also in allen Fragen oder in den meisten Fragen, nicht nur jetzt in religionspolitischen Fragen – relativ große Zustimmung bei der Bevölkerung findet. Das heißt, die Kirche sieht sich und versteht sich als Vertreterin des russischen Volkes und aller Orthodoxen und damit der großen Mehrheit und sieht den jetzigen Staat und die jetzige … nicht nur den Staat, sondern die jetzige Regierung als eine Regierung, die diese Interessen tatsächlich auch hochhält und vertritt, und das führt dann zu dieser großen Nähe, die es zwischen beiden gibt.
Welty: Würden Sie sagen, an dieser Stelle wird das orthodoxe Weihnachtsfest auch missbraucht?
Bremer: Ich bin immer zurückhaltend mit dem Begriff Missbrauch, weil das ja auch zweier Seiten sozusagen bedarf. Wir wissen natürlich nicht, wie tief die Religiosität von Putin wirklich ist, aber zunächst mal, das Weihnachtsfest ist eben heute und das findet heute statt, und Putin ist Kirchgänger, der ist nicht nur Weihnachten in der Kirche, und dann kann man das irgendwie verstehen, dass der Präsident eben sozusagen zum Patriarchen in den Gottesdienst geht. Also daran würde ich das nicht festmachen. Es gibt andere Punkte, wo man das, glaube ich, stärker sehen kann.
Welty: Über die reden wir dann das nächste Mal. Die Einschätzung von Thomas Bremer war das, Professor für Ökumene, Ostkirchenkunde und Friedensforschung an der Universität Münster. Herzlichen Dank für den Besuch hier in "Studio 9"!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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