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Gen-Forschung
Neue Verwandte für die Milchkuh

In zahlreichen Versuchen haben Forscher die Herkunft unserer heimischen Rinder untersucht. Für sie steht nun fest: Die Kühe auf deutschen Weiden sind mit dem Auerochsen verwandt. Damit löst sich ein altes Rätsel.

Von Kay Müllges | 07.08.2014
    Eine Milchkuh steht auf einer Weide.
    Forscher haben bewiesen, dass unsere heimischen Rinder und Kühe Gene des Auerochsen in sich tragen. (picture-alliance / dpa / Horst Ossinger)
    Schon in der berühmten Höhle von Lascaux malten unsere Vorfahren vor 25.000 Jahren Bilder von Auerochsen, wohl um das Jagdglück zu beschwören. Denn die mächtigen Tiere waren mit drei Metern Länge, einer Schulterhöhe von fast zwei Metern und einem Gewicht von einer Tonne eine gewaltige, aber auch furchterregende Beute für steinzeitliche Jäger.
    Im Nahen Osten begannen unsere Vorfahren vor etwa 10.000 Jahren dann damit, die mächtigen Ungetüme nicht nur zu jagen, sondern auch zu fangen und zu zähmen. Das dauerte viele Generationen, aber am Ende waren die Anstrengungen der ersten Bauern aus dem Gebiet des fruchtbaren Halbmondes von Erfolg gekrönt. Aus zahlreichen paläogenetischen Untersuchungen weiß man mittlerweile, dass die Auerochsen dieser Region die Vorfahren unserer heutigen Hausrinder sind, erklärt Professor Jörg Schibler von der Universität Basel:
    "Die dortigen Auerochsen tragen eine T-Haplogruppe, also T wie Thomas, als genetische Signatur."
    Expansion des gezüchteten Rindes aus dem Nahen Osten
    Die gleiche Haplogruppe, die sich bis heute auch bei allen in unseren Breiten heimischen Kühen findet. Vor etwa 7000 Jahren, mit Beginn der sogenannten neolithischen Revolution, so die gängige Erklärung für dieses Phänomen, breiteten sich die ursprünglich nur im Nahen Osten gezüchteten Rinder und zum Teil auch ihre Besitzer dann in ganz Europa aus. Nur rund 200 Jahre dauerte es und ganz Mitteleuropa, das heißt, eine Fläche von einer Million Quadratkilometern war von Bauern und ihren Hausrindern besiedelt.
    Der europäische Auerochse lebte davon unberührt in seinen ökologischen Nischen weiter. Eher durch Zufall machten die Forscher um Jörg Schibler jetzt eine Entdeckung, die dieses gängige Modell infrage stellen könnte. Sie nahmen sich Knochen aus einer bereits in den Siebzigerjahren des letzten Jahrhunderts durchgeführten Ausgrabung in Twann am Bieler See erneut vor, um herauszufinden, ob sich in ihnen noch Reste alter DNA finden.
    Wenn überhaupt, so die Überlegung der Forscher würden sich solche Überreste noch am ehesten in der mitochondrialen DNA finden lassen. Dieses, nur über die weibliche Linie weitergegebene, Erbmolekül ist besonders gut eingekapselt und in alten Knochen oft noch gut erhalten.
    "Wir waren nicht sicher, ob sich in diesen Knochen noch Reste der genetischen Information befindet, weil wir wissen beispielsweise von anderen Seeufersiedlungen, sogenannten Pfahlbauten, hat man früher dazu gesagt, das diese Feuchtbodenlagerung eigentlich nicht so zuträglich ist, um diese genetische Information zu erhalten über die Jahrtausende."
    Vermischung von Auerochsen und Hausrindern
    Doch bei der Analyse des Mittelhandknochens eines jungsteinzeitlichen Hausrindes aus dieser Ausgrabung wurden sie fündig.
    "Der gehörte zu dieser P-Haplogruppe des europäischen Auerochsen. Und der ist damals natürlich hier in Europa zu Hause gewesen und aus archäologischen Untersuchungen weiß man, dass die eben eine ganz spezifische genetische Signatur haben, eben diese P-Haplogruppe."
    Dieser Fund ist damit der erste unzweifelhafte Beleg dafür, dass sich die europäischen weiblichen Auerochsen auch mit Hausrindern der T-Haplogruppe aus dem Nahen Osten vermischt haben. Die Knochen vom Bieler See gehören in den Umkreis der sogenannten Horgener Kultur. Diese, nach ihrer ersten Fundstelle, einem Dorf am Zürichsee benannte Gesellschaft von jungsteinzeitlichen Pfahlbauern existierte etwa von 3.400 bis 2.800 vor unserer Zeitrechnung. Die Bauern der Zeit waren, wie man aus den Funden weiß, vor allem Schweinezüchter, hielten aber auch Rinder, Schafe und Ziegen.
    Beweise sprechen für einen Züchtungsversuch
    Anhand nur eines einzigen Knochens könne man natürlich nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich bei der Vermischung des europäischen Auerochsen mit dem nahöstlichen Hausrind um einen biologischen Zufall handelt oder um einen gezielten Einkreuzungsversuch, meint Jörg Schiebler, aber die Gesamtumstände sprächen wohl eher für einen Züchtungsversuch.
    Auch die Schweine wurden ursprünglich im Nahen Osten domestiziert und dann nach Europa eingeführt. Aus der Horgener Kultur sei bekannt, dass diese dann wiederum mit europäischen Wildschweinen gekreuzt wurden. Und auch die Rinder der Horgener Zeit unterschieden sich deutlich von denen früherer oder späterer Perioden. Sie sind nämlich deutlich kleiner, aber dabei sehr robust. Jörg Schibler:
    "Und das könnte jetzt einen Zusammenhang haben mit den ersten Funden von Holzwagen, von Holzrädern, von Jochen, also Zugseinrichtungen, man hat die Rinder gebraucht als Arbeitstiere und möglicherweise ist da vielleicht sogar ein bewusstes Einkreuzen passiert, weil man diese Tiere kräftiger machen wollte, um sie als Arbeitstiere einzusetzen. Das wäre eine Vermutung, das können wir nicht beweisen, das ist aber ein schöner Zusammenhang mit den archäologischen Befunden und weist auf eine mögliche zielgerichtete Einkreuzung dieser europäischen Auerochsen."
    Zusammenarbeit mit englischen Forschern geplant
    In der nahen Zukunft wollen die Forscher jetzt weitere Rinderknochen aus anderen Funden der Horgener Kultur untersuchen und sich dabei auch nicht mehr nur auf die mitochondriale DNA beschränken.
    "Wir sind hier auch schon in Kontakt mit Kollegen aus England, die speziell auch über die Geschichte des Hausrinds, der Haustiergenetik forschen. Und mit denen zusammen wollen wir dann das ganze Genom eigentlich dieses neolithischen Rindes rekonstruieren."