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Zukunft der EU
"Cameron argumentiert aus einer Defensive"

Die Drohung des britischen Premiers, aus der EU auszutreten, wenn Jean-Claude Juncker Kommissionspräsident werde, sei Zeichen innenpolitischen Drucks auf ihn, sagte die Politologin Almut Möller im DLF. Cameron versuche, sich an die Spitze einer EU-Reformbewegung zu setzen, für die ihm eigentlich die Glaubwürdigkeit fehle.

Almut Möller im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 11.06.2014
    Almut Möller, Politologin und Mitarbeiterin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)
    Almut Möller: "Die Bundeskanzlerin und auch andere Partner innerhalb der Europäischen Union können sicherlich nicht auf britische Sonderwünsche an dieser Stelle nur eingehen." (picture alliance / dpa - Jürgen Daum)
    Dirk-Oliver Heckmann: Wer wird neuer Präsident der EU-Kommission? Darüber ist bekanntlich ein heftiges Gezerre entstanden in der Europäischen Union. Jetzt stellt sich heraus: Lange nicht alle Staats- und Regierungschefs waren damit einverstanden, dass die europäischen Parteienfamilien Spitzenkandidaten aufstellten, und so ist es keineswegs ausgemacht, dass Jean-Claude Juncker, der Gewinner der Europawahl, der nächsten Kommission vorsitzt. Das hat auch der Minigipfel in Schweden gezeigt. Matthias von Hellfeld, mein Kollege, hat gestern Abend Almut Möller von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik dazu befragt.
    Matthias von Hellfeld: Wäre eine andere Entscheidung als für Jean-Claude Juncker eigentlich überhaupt begründbar?
    Almut Möller: Man sieht, dass einige Regierungen versuchen, dies zu begründen, indem sie sagen, der Vertrag ist eher unklar. Der Vertrag sagt zwar, dass die Regierungschefs die Wahlen zum Europäischen Parlament und die Mehrheiten berücksichtigen müssen, aber der Vertrag trifft keine Aussagen über den Spitzenkandidaten. Das ist sicher richtig. Dennoch hat das Europäische Parlament sich klug in Stellung gebracht und mehr oder weniger es bis jetzt geschafft, eine Dynamik reinzubringen, die es politisch sehr, sehr schwierig macht, jetzt wieder wegzugehen vom Kandidaten Jean-Claude Juncker. Das heißt, was wir hier beobachten ist letztlich ein Machtkampf zwischen dem Europäischen Parlament und den Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat.
    von Hellfeld: Wenn ich die europäischen Parlamentarier mir so anschaue, dann ist da der eine oder andere Kampfesrecke durchaus dabei. Glauben Sie, dass die das Recht einfach so wieder hergeben?
    Möller: Na ja, nach meinem Eindruck ist es schon interessant, dass auch im deutschen Kontext sich ja diese Dynamik entwickelt hat, die es auch für die Bundeskanzlerin sehr schwer macht, jetzt hinter Juncker zurückzugehen. Die Bundeskanzlerin hat sich ja in der Vergangenheit doch ein bisschen lauwarm gezeigt hinsichtlich der Spitzenkandidatur von Herrn Juncker. Auch im deutschen Europawahlkampf war er ja kaum sichtbar. Aber man hat inzwischen gesehen, dass in Deutschland es auch viele Stimmen gibt, auch natürlich in der CDU, die sich deutlich dazu äußern, dass das eine positive Entwicklung sei. Das heißt, es wäre auch in Deutschland mit erheblichen Risiken verbunden, wenn jetzt die Bundesregierung einen anderen Kandidaten nach vorne bringt, und dementsprechend haben wir ja gesehen, dass in den letzten Tagen die Bundeskanzlerin auch den Namen Jean-Claude Juncker weiterhin hochgehalten hat.
    von Hellfeld: Wenn sie ihn nicht durchbringt im Europäischen Rat, welcher Schaden würde danach Ihrer Meinung nach entstehen?
    Möller: Nach meinem Eindruck wäre das ein sehr schlechter Zeitpunkt, um ein solches Signal auszusenden. Auch in Deutschland und in Europa insgesamt haben die Menschen ja sehr oft das Gefühl, dass ihre Stimme nicht zählt, warum geht man eigentlich zu den Europawahlen, und das Versprechen war, in diesem Jahr soll alles anders sein. Es gibt die Spitzenkandidaten und wenn ihr die Partei wählt mit den entsprechenden Spitzenkandidaten und es die Mehrheiten gibt, dann könnt ihr auch eine Person an die Spitze der EU-Kommission wählen. Insofern ist da ein Schaden zu erwarten. Die Frage ist, wird es möglich sein, unter den Staats- und Regierungschefs diesen Kandidaten Juncker durchzubringen. Auch das halte ich nicht für ausgeschlossen.
    von Hellfeld: Einer hat ja besonders hartleibig sich gezeigt: das ist der britische Premierminister David Cameron. Der droht sogar mit dem Austritt aus der Europäischen Union. Ist das glaubwürdig, oder ist das nur eine Innenpolitik Richtung England?
    Cameron fehle die Glaubwürdigkeit
    Möller: David Cameron fährt im Grunde jetzt alles auf, was geht, denn er ist innenpolitisch extrem unter Druck, und versucht, sich an die Spitze einer EU-Reformbewegung zu setzen, für die ihm eigentlich die Glaubwürdigkeit fehlt. Er will den Kandidaten Juncker nicht, weil der all das repräsentiere, was sozusagen in Großbritannien eine No-Go-Richtung ist, nämlich ein föderales Europa, eine Person, die für das alte Europa steht, dass man als gescheitert ansieht, das auch abgestraft wurde von vielen Wählerinnen und Wählern, eben nicht nur in Großbritannien, auch in Frankreich. Und Cameron versucht, das eigene Gewicht in die Waagschale zu werfen und eine eigene positive Reformagenda auszusenden. Das ist den Briten bisher nicht gelungen, obwohl sie sicherlich keine schlechten Ideen haben und auch möglicherweise in einigen Bereichen anschlussfähig sind, auch in deutsche Debatten, das Thema Wettbewerbsfähigkeit beispielsweise. Nur Cameron argumentiert aus einer Defensive, denn die Koalitionsregierung in London hat sich in den letzten Jahren ziemlich ins Abseits manövriert, indem sie dem Fiskalvertrag 2011 die Zustimmung verweigert hat und damit auch die Deutschen gezwungen hat, einen Weg außerhalb der Verträge zu suchen. Man hat schon vor Jahren die Tory-Partei aus der Gruppe der Europäischen Volkspartei abgezogen. Mit den Briten ist momentan schwierig zu verhandeln in Bezug auf die Weiterentwicklung der Euro-Zone. Das heißt, Großbritannien argumentiert momentan aus einer defensiven Position, ist an den Rand gedrängt, versucht, sich lautstark ins Zentrum der Debatte wieder zu reden, aber ich habe doch den Eindruck, dass man hier in London hoch pokert, vielleicht zu hoch, denn die Bundeskanzlerin und auch andere Partner innerhalb der Europäischen Union können sicherlich nicht auf britische Sonderwünsche an dieser Stelle nur eingehen.
    von Hellfeld: Kann England sich einen Austritt überhaupt leisten?
    EU-Austritt wäre schlechte Entscheidung für Großbritannien
    Möller: Cameron wünscht sich sicherlich nicht einen Austritt aus der Europäischen Union. Das wäre auch für Großbritannien eine schlechte Entscheidung. Das wäre auch für den Rest der Europäischen Union eine sehr schwierige Entwicklung, die mit enormen Kosten verbunden wäre. Die Rückabwicklung der Mitgliedschaft, das Gewicht eines solch großen Landes, das sich dann zurückzieht aus der EU, würde die Machtverhältnisse völlig durcheinanderwerfen. Die Frage ist, kann man David Cameron und seiner Koalitionsregierung momentan aus dieser Ecke heraushelfen. Denn: Wie viele Zugeständnisse kann man den Briten machen, weil man nicht genau weiß, wie handeln sie dann eigentlich danach? Werden sie dann loyaler gegenüber der Zukunft der europäischen Integration. Da sieht es doch momentan eher so aus, als ob die Risiken weiterhin bestehen, dass in Großbritannien eine wirklich unkontrollierte Europadebatte sich weiterentwickelt, die es kaum möglich macht, mit Großbritannien als Gestalter zu arbeiten. Und immer wieder mit einem Bremser konfrontiert zu sein, da ist inzwischen in vielen Mitgliedsstaaten auch der Punkt erreicht, wo man sagt, gut, dann müssen wir eben sehen, wie wir vielleicht auch ohne die Briten arbeiten können.
    Heckmann: Almut Möller war das von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Mein Kollege Matthias von Hellfeld hat gestern mit ihr gesprochen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.