Coronaforschung

Noch nicht am Ziel bei der Impfstoffentwicklung

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Zwei Hände in blauen Handschuhen ziehen vor rotem Hintergrund eine Spritze auf.
Hat das Wettrennen um einen Coronaimpfstoff nun ein Ende gefunden? (Symbolbild) © Getty Images / Moment RF
Martin Mair im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 10.11.2020
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Impfstoffe gegen Corona rücken in greifbare Nähe. Unser Wissenschaftsredakteur Martin Mair warnt dennoch vor allzu großer Euphorie. Noch seien viele Fragen nicht beantwortet und Rückschläge möglich.
Stephan Karkowsky: Weltweit wird in den Forschungslaboren ein Impfstoff gesucht gegen das SARS-CoV-2-Virus, und womöglich ist es die Mainzer Firma BioNTech, die die Welt als erste mit einem verlässlichen Schutz gegen COVID-19 versorgt. Der von BioNTech und Pfizer gemeinsam entwickelte Wirkstoff habe eine 90-prozentige Wirksamkeit, heißt es. Können wir damit nun in Trump-Manier zum Coronavirus sagen: "You are fired"?
Mair: Ich fürchte, wir können das nicht zum Coronavirus sagen, es sind da noch sehr viele Fragen offen. Die beiden Firmen haben erst mal eine Pressemitteilung veröffentlicht und einen Teil ihrer Studie, die in der letzten, in der entscheidenden Phase ist. Aber die Studienergebnisse selbst nicht. Das heißt, wir haben sehr viele Fragen noch im Moment, und deswegen wäre es, wer in den vergangenen Wochen die US-Wahl geguckt hat, "too close to call" – das haben wir da ja immer gehört, wenn nicht klar war, wer den Bundesstaat nun gewinnt.
Karkowsky: Aber es heißt ja auch von BioNTech, man könne bis Ende des Jahres 50 Millionen Impfdosen herstellen.
Mair: Da steht eine Zulassung im Weg, und das ist auch der nächste Schritt, der kommen wird. Das will Pfizer zusammen mit BioNTech in den USA machen, die Behörde dort heißt FDA, und da ist es so, dass die beiden Firmen diese Zulassung beantragen wollen, wenn man 50 Prozent der Daten ausgewertet hat und wenn klar ist, wie die Nebenwirkungen sind.
Die Firmen sagen, dass das in der dritten Novemberwoche passieren wird, also auch da ist noch eine Hürde. Alles in allem muss man sagen: Es ist nicht so, dass ich davon ausgehe, dass sich die Firmen das ausdenken, aber es sind eben tatsächlich durchaus noch Fragen da, wie es mit der Zulassung weitergeht. Die Impfstoffentwicklung ist immer kompliziert, und da drohen – darauf haben gestern viele Virologen hingewiesen – Rückschläge.

Viel politischer Druck in den Verhandlungen

Karkowsky: Nun ist diese Mainzer Firma BioNTech ja ein Zwerg gegen den amerikanischen Pharmariesen Pfizer. Der Bundesgesundheitsminister hat schon gesagt, es wäre komisch, wenn ein Impfstoff, der in Deutschland entwickelt wurde, nicht auch in Deutschland als Erstes verfügbar wäre. Wie groß ist denn die Gefahr, dass Pfizer die ersten Impfungen für die USA reserviert?
Mair: Da gibt es weltweit Verhandlungen, das ist eben tatsächlich dann auch ein Problem von Impfkapazitäten. 50 Millionen Dosen, das klingt ja erst mal viel, aber damit ist gemeint, dass man das weltweit herstellen kann bis zum Ende des Jahres. Im kommenden Jahr, sagen die Firmen, sind es gut 1,3 Milliarden. Das klingt auch sehr viel, wir haben aber eine Bevölkerung von über acht Milliarden.
Das heißt also, da wird es Verhandlungen geben – die Europäische Union macht das –, da ist viel politischer Druck drin. Ich glaube jetzt nicht, dass wir in Deutschland das Problem haben, im Vergleich mit den USA hinten runterzufallen, eine viel entscheidendere Frage wird sein: Wer wird zuerst geimpft - bei uns in Deutschland und auch weltweit betrachtet. Was wir auch in anderen Bereichen in der Medizin leider immer wieder erleben: Dass reiche Länder da im Vorteil sind, dazu gehört auch Deutschland.
Karkowsky: Immerhin ein Teil der guten Nachricht ist ja auch die Wirksamkeit des Impfstoffes: 90 Prozent, so sagt BioNTech. Mehr sogar! - Das wäre eine Traumquote, die kaum ein Medikament erreicht. Halten Sie das denn wirklich für realistisch?
Mair: Das ist auch schwer einzuschätzen. Es ist durchaus möglich, dass das so ist, aber wie gesagt, da ist eben erst ein Teil dieser Daten in der dritten Studie ausgewertet. Die 90 Prozent allein sind eine sehr gute Quote, das hat auch gestern bei Expertinnen und Experten durchaus für Begeisterung gesorgt.
Aber auch der Hinweis, der daraufhin sofort kam, ist entscheidend. Es ist vor allem die Frage, wie gut hilft der Impfstoff in zwei Fällen. Hilft er, die schweren Fälle zu verhindern? Das können wir noch nicht wirklich sagen, und wir können auch noch nicht sagen, ob der Impfstoff gleich gut über alle Altersgruppen hinweg wirkt.
Es ist bei Impfungen häufig der Fall, dass Impfungen schlechter wirken – das ist bei der Grippeschutzimpfung zum Beispiel so – bei Älteren, für die es aber besonders wichtig wäre. Deswegen: Diese 90 Prozent sind erst mal ein Erfolgszeichen und machen optimistisch, aber auch hier wird man sich dann noch die Daten im Detail anschauen müssen.

Kein Neujahr unter Palmen

Karkowsky: Und dass dieser Impfstoff so schnell entwickelt wurde, viel schneller, als das normalerweise der Fall ist, macht ihn das theoretisch gefährlicher?
Mair: Nein, ich würde nicht sagen, dass ihn das gefährlicher macht, weil die Entwicklung von Impfstoffen ja etwas ist, womit man sehr viel Erfahrung hat. Man kann das Verfahren auch nicht beliebig beschleunigen, die Standards werden da eingehalten.
Was wir nicht so genau sagen können im Moment, ist die Frage von Nebenwirkungen, die es immer gibt bei Impfstoffentwicklungen. Das sind dann ganz oft milde Formen, also dass man zum Beispiel leichtes Fieber bekommt, dass die Einstichstelle schmerzt, das kennt man von anderen Impfungen. Da wird man sich auch noch angucken müssen, wie groß diese ist.
Und die große und entscheidende Frage - und die kann man im Moment gar nicht beantworten - ist vor allem: We lange wirkt denn dann der Impfschutz, wenn er funktioniert. Das hat dann einfach etwas damit zu tun, dass wir keine Langzeiterfahrungen haben.
Wir werden weiter warten und Geduld haben müssen. Es ist noch nicht so, dass das Coronavirus damit besiegt ist und wir Weihnachten in der Familie feiern und dann Neujahr unter Palmen verbringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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