Ruheloser Don Juan

09.03.2010
Er neigte zur Fettleibigkeit, war eher hässlich, verlor schon früh alle Haare, was er mit einem Toupet auszugleichen versuchte, und hatte ein Faible für übertrieben modische Kleidung.
Um in den Pariser Salons eine gute Figur zu machen, nahm er sogar Schauspielunterricht. Besonders sympathisch wirkte er in seinen jungen Jahren nicht, dieser Stendhal, der damals noch Henry Beyle hieß.

Ein Karrierist, hinter dem Geld seines Vaters her, opportunistisch, eitel und ewig unglücklich verliebt. Als er später erste Versuche als Publizist unternahm, bediente er sich skrupellos aus vorhandenen Studien und kompilierte daraus Werke über Komponisten und italienische Malerei. Dennoch: Mit zunehmendem Lebensalter wandelte sich Stendhal zu einem faszinierenden Mann. Er gewann an Statur, wurde ein politischer Kopf und reifte schließlich zum Romancier heran.

Johannes Willms, Kulturkorrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Paris, Kenner der französischen Geistesgeschichte und erprobter Biograph von Balzac und Napoleon, hat jetzt die erste deutschsprachige Lebensbeschreibung Stendhals vorgelegt. Es handelt sich um ein gelehrtes und mitreißendes Porträt eines Schriftstellers, der seiner Zeit tief verhaftet war und literarisch weit über sie hinaus wuchs.

1783 in Grenoble geboren, musste Stendhal bereits mit knapp sieben Jahren den Tod seiner abgöttisch geliebten Mutter verkraften und wuchs unter der Obhut einer gefühlsarmen Tante und des auf Disziplin und Ordnung bedachten Vaters auf. Für Johannes Willms ist der Verlust der Mutter das prägende Zeichen der Kindheit: Hier sieht der Biograph die Wurzel für Stendhals ruhelosen Don-Juanismus, seinen Drang, fortwährend neue Frauen zu erobern, ohne sich jemals binden zu können. Tatsächlich entbrennen konnte er nur für diejenigen, die ohnehin unerreichbar waren. Gleichzeitig – diese These arbeitet Willms nach und nach heraus – ist Stendhals Fähigkeit, einer Frau vollkommen haltlos zu verfallen, bis ins hohe Alter der Quell seiner Kreativität.

Illustriert von zahlreichen Zitaten aus Tagebüchern und Briefen schreitet Willms die Lebensstationen ab. Dank seines Mathematiklehrers entkam Stendhal dem "düsteren Dreckloch" Grenoble und gelangte nach Paris, wo sich unterdessen Napoleon Bonaparte an die Macht geputscht hatte. Aber Paris war für den Studenten, der am liebsten Bühnenautor geworden wäre, zunächst eine Enttäuschung. Er kam bei weitläufigen Verwandten unter, der Familie Daru, deren Haushalt ihm ähnlich freudlos erschien wie der in Grenoble.

Pierre Daru machte als Napoleons Kriegsminister eine rasante Karriere und verschaffte auch Stendhal einen Posten. Als die Armee 1800 nach Oberitalien vorrückte, wurde er zu seinem Entzücken in den Truppenverwaltungsdienst eingezogen und entdeckte Mailand als Stadt seiner Träume.

Später wurde er Kriegskommissar, musste sich in Braunschweig bewähren, erlebte den desaströsen Abzug aus Moskau – bis er durch Napoleons Sturz alles verlor. So lebte er eine Weile als Privatier in Italien, kehrte nach Paris zurück und wurde schließlich nach der Julirevolution von 183 Konsul in Civitavecchia, einem schwülen Provinznest.

Als Gegengift zu seinem zehrenden ennui entdeckte Stendhal das Schreiben und machte seit 1820 als Pamphletist sich reden. Aber erst mit 47 Jahren sei Stendhal, wie Willms meint, so lebenssatt gewesen, dass er "Rot und schwarz" habe schreiben können, das 1839 erscheint. Seinen Geniestreich "Die Kartause von Parma", von Balzac sofort als großartiges Werk gefeiert, diktierte er in nur sechs Wochen, bevor er 1842 starb.

Willms Biografie vermittelt etwas enorm Tröstliches: Stendhal wurde nicht als genialer Romancier geboren. Erst das Leben hat ihn dazu gemacht.

Besprochen von Maike Albath

Johannes Willms: Stendhal
Carl Hanser Verlag, München 2010
333 Seiten, 24,90 Euro