Rückkehr ins Leben

Von Christoph Leibold · 23.05.2009
Die Hauptfigur Paula steht In "Diesseits" unter der Regie von Tina Lanik mit einem Bein im Jenseits. Die 40-Jährige hat keinen Mann und keine Freude an der Arbeit. Dann wird auch noch der Verdacht auf einen Gehirntumor diagnostiziert. Als sie sich in der Tür einer Arztpraxis irrt, kommt die entscheidende Wendung.
Paula steht bereits mit einem Bein im Jenseits. Ärzte haben einen Gehirntumor bei ihr diagnostiziert. Unklar ist noch, ob er gut- oder bösartig ist. Aber Paula zieht schon Mal Bilanz und muss feststellen: bei keinem der Sinnangebote, die das Diesseits für die Menschen heute bereithält, kann sie punkten: Paula hat keinen Beruf, der sie erfüllt, keine Familie, die sie glücklich macht, und auch keinen Liebhaber. Ein verpfuschtes Leben. Also Schluss damit.


Paula will sich mit Tabletten umbringen und - um an die Pillen ranzukommen - eine Arztpraxis überfallen. Leider irrt sie sich in der Tür und landet in einer Bank, deren Schalterbeamter sich prompt in Paula verliebt. Paula schaut aber erst noch zehn Szenen lang bei Schwester und Schwager, am Friedhof und einem Bestattungsunternehmen vorbei oder hält Zwiesprache mit dem Geist ihres Vaters, der vor 30 Jahren gestorben ist (an einem Hirntumor – woran sonst?), ehe sie es mit der Liebe und dem Bankangestellten versucht (und das, obwohl der auf den eher unerotischen Namen Dietmar hört!).

Thomas Jonigks "Diesseits" stellt nichts weniger als die Frage nach dem Sinn des Lebens hienieden und versucht bei allem angemessenen Ernst den Humor nicht zu verlieren. Leider wirkt die Komik des Stücks eher forciert und der Tiefsinn bemüht. Und beides findet nicht zusammen. So wie auch Paula als Figur unstimmig bleibt: einerseits naiv, sich voll der Verzweiflung hingebend; andererseits reflektiert, als wären Überlegungen des Autors zu Sinn- oder Unsinnhaftigkeit des Lebens in manchen Passagen ungefiltert in die Figurenrede Paulas eingeflossen.

Im Münchner Cuvilliés Theater spielt Juliane Köhler diese Paula mit burschikoser Aufgekratztheit und ist dann am stärksten, wenn sie ihrer Figur kleinlaute, verzagte Momente gönnt. Da wird hinter der Ruppigkeit eine Sehnsucht spürbar. Wann immer aber Köhlers Paula sich in Zorn und Zynismus ergeht, verrutschen ihr die großen Gesten und ihr Spiel wirkt aufgesetzt.

Tina Laniks Regie stellt die Schwächen des Stücks eher aus, als sie auszubügeln. Wann immer Paula sich anhört wie das Sprachrohr von Thomas Jonigk, muss Juliane Köhler den Text frontal über die Rampe ins Publikum sprechen.

Überhaupt: die Geschwätzigkeit von Jonigks Figuren: ständig sprechen sie Gedanken mit aus, die man anderen Menschen besser nicht ins Gesicht sagen sollte. Das macht insbesondere Paulas Schwester und Schwager zu Abziehbildern feindseliger Verwandter – schnödselig, besserwisserisch und gehässig. Regisseurin Tina Lanik behandelt sie denn auch wie Klischee-Figuren und steckt Schwester (Beatrix Doderer: süffisant feixend) und Schwager (Robert Joseph Bartl: blasiert behäbig) in High Heels und Schlangenleder-Sneakers.

Das ist alles nur begrenzt komisch. Die dunkle Seite des Stücks indes erhellt es auch nicht. Da hätte es schon eines stärkeren Zugriffs bedurft, um nicht zu sagen einiger Eingriffe, um mit diesem Stück zu glänzen.