Rückblick auf eine Zeit der Umstürze

26.10.2012
Vier befreundete Fotografen gründeten 1947 die Bild-Agentur "Magnum", die weltweit erste kooperativ geleitete Agentur, die unter anderem dafür sorgte, dass die Fotografen die Rechte an ihren Bildern behielten. Der Bildband "Magnum Revolution" erinnert an die - in vielen Belangen bahnbrechende - Arbeit der Agentur: ein bemerkenswertes "Testament" einer Epoche.
Der Legende nach köpften die vier befreundeten Fotografen Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, David "Chim" Seymour und George Rodger eine Magnumflasche Champagner, als sie im Jahr 1947 ihre gleichnamige Fotoagentur gründeten. "Magnum" war die weltweit erste kooperativ geleitete Agentur für freischaffende Fotografen. Durch sie konnten Mitglieder ihre Bildrechte behalten, anstatt sie an Magazine oder kommerzielle Agenturen abzutreten. "Ein Journalist ist nichts, wenn er nicht die Rechte an seinen Negativen besitzt", formulierte Robert Capa die damalige Motivation.

Und "Magnum" wurde weltberühmt. Vor allem Dank solcher Bilder, die den Menschen in den Mittelpunkt rückt, die sogenannte "humanistische" Fotografie. Etwa die Aufnahme des Fotografen Stuart Franklin, die er 1989 vom Balkon seines Hotels in Peking mit Blick auf den "Platz des Himmlischen Friedens" schoss: Auf einer fünfspurigen Zufahrtsstraße stellt sich ein einzelner Mensch gegen die Panzerkolonne des chinesischen Militärs. Dieser Augenblick, gebannt auf wenige Zentimeter lichtempfindliches Zelluloid, prägt bis heute die westliche Erinnerung an die chinesische Freiheitsbewegung, die brutal niedergeschlagen und in China bis heute totgeschwiegen wird. Und es ist eines der beeindruckenden und packenden Fotos aus dem Magnum-Archiv, die jetzt im Jubiläumsband "Magnum Revolution: 65 Jahre Freiheitskampf" versammelt sind.

"Magnum Revolution" ist ein fotografischer Rückblick auf eine Zeit der Umstürze. Das Buch beginnt 2011 mit dem "Arabischen Frühling" in Tunesien, Ägypten und Libyen und endet mit dem Aufstand in Ungarn 1956. Essays des kanadischen Pulitzer-Preisträgers Paul Watson erläutern wunderbar knapp und präzise in 27 Kapiteln die historischen Hintergründe der Aufstände und stellt die Reporter vor, die die Kämpfe mit ihren Bildern dokumentierten.

Viele Magnum-Fotografen haben ihr Leben riskiert, um Ereignisse aus nächster Nähe festzuhalten: Robert Capa starb in Indochina durch eine Landmine, David "Chim" Seymour wurde während der Suez-Krise von ägyptischen Soldaten erschossen. Das letzte Magnum-Opfer war der britische Fotograf und Filmemacher Tim Hetherington, der im Mai 2011 bei einem Granatenangriff im libyschen Misrata ums Leben kam. Palästina, Afghanistan, Ukraine, Südafrika, Iran, Algerien, Kuba - die Fotos dokumentieren die ambivalente Kraft und Intensität der Kriegsfotografie.

Heute, in Zeiten von Facebook und Twitter, erreichen uns Fotos aus Krisenregionen zuallererst im Internet. Bürger oder Revolutionäre selbst laden die Aufnahmen von Handykameras ins Netz, dokumentieren Geschichte nahezu in Echtzeit. Der amerikanische Journalist Jon Lee Anderson fragt in seinem Vorwort, ob diese technischen Revolutionen die Magnum-Fotografen bald überflüssig machen? - Möglich. In der Zwischenzeit ist der Band für Anderson das bemerkenswerte "Testament" einer Epoche: "Etwas Vergleichbares werden wir vielleicht nie wieder sehen".

Der Magnum-Jubiläumsband ist packend, aufrüttelnd, engagiert. 65 Jahre Weltgeschichte in Bildern, die wirklich unter die Haut gehen.

Besprochen von Tabea Grzeszyk

Jon Lee Anderson, Paul Watson: Magnum Revolution: 65 Jahre Freiheitskampf
Prestel Verlag, München 2012, 256 Seiten, 49,95 Euro

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