Der Ingenieur Rudolf Nebel

Verwegener Pionier der Raketentechnik

Die deutschen Raketenforscher (l-r) Albert Püllenberg, Rudolf Nebel und Karl Poggensee trafen zum ersten Mal nach Krieg im April 1951 bei Bremen zusammen. Sie waren an der Entwicklung der V 2 - Rakete beteiligt.
Raketenpionier Rudolf Nebel (Mitte) mit den deutschen Raketenforschern Albert Püllenberg und Karl Poggensee im Jahr 1951 © picture alliance / Bildarchiv
Von Frank Grotelüschen · 21.03.2019
Rudolf Nebel entwickelte in den 1930er-Jahren die Grundzüge der modernen Raketentechnik - mitten in Berlin experimentierte er mit querschießenden Flugkörpern. Doch die Nazis stuften ihn später als "unzuverlässig" ein. Vor 125 Jahre wurde Nebel geboren.
"Die Bekämpfung unserer Arbeiten ging soweit, dass ernstzunehmende Leute, vor allem Studienräte, damals darangingen zu sagen: 'Ein Mann, der so viel Blödsinn verzapft, kann gar kein diplomierter Ingenieur sein.'"
Berlin 1930. Rudolf Nebel hatte einen verwegenen Plan. Er wollte Raketen bauen, den Weltraum erobern und zu anderen Planeten reisen. Für seine Zeitgenossen eine abstruse Idee.
"Sie haben mich dann bei der Polizei sogar angezeigt, und ich musste aufs Polizeipräsidium und mein Diplomzeugnis vorweisen, um zu beweisen, dass ich wirklich Diplomingenieur bin, der solche Ideen durchführen will."

Mit dem Nebelwerfer fing es an

Ingenieur Nebel setzte sich durch. Im September 1930 gründete er in Berlin-Reinickendorf den ersten Raketenflugplatz der Welt – ein Schritt zu jener Technologie, die Jahrzehnte später die NASA-Astronauten zum Mond bringen sollte. Rudolf Nebel, geboren am 21. März 1894 im bayerischen Weißenburg, hatte es bereits im Ersten Weltkrieg zur Luftwaffe gezogen.
"Ich bin im Ersten Weltkrieg Jagdflieger gewesen und habe damals die sogenannten Nebelwerfer erfunden. Mit diesen Nebelwerfern habe ich damals feindliche Flugzeuge abgeschossen."
Nebel hatte Pulverraketen mit einem Sprengkopf versehen und unter seine Maschine montiert: "Es wurde mir dann verboten, mit diesen Nebelwerfern weiterzuarbeiten. Ich hatte aber erkannt, dass in der Raketenentwicklung eine großzügige Weiterentwicklung bis zur Raumschifffahrt gewährleistet werden kann, wenn das entsprechend aufgezogen wird."

Sogar Einstein war beeindruckt

Dazu aber brauchte es einen Technologiesprung. Damals gab es nur Pulverraketen, quasi bessere Feuerwerksraketen. Ihr Schub reichte nicht, um einen Flugkörper ins All zu schießen. Die rettende Idee hatte der Raketenpionier Hermann Oberth: Er schlug vor, Raketen mit Flüssigtreibstoff zu befeuern, mit Alkohol und flüssigem Sauerstoff. Doch Oberth war eher theoretisch begabt. Um seine Ideen umzusetzen, benötigte er die Hilfe von Tüftlern wie Rudolf Nebel.
"Zunächst interessierten wir die Filmgesellschaften, also die Ufa, die uns dann 35.000 Mark zur Verfügung stellte." Für den Ufa-Film "Die Frau im Mond" konstruierten Nebel und Oberth 1929 einen Prototyp einer Flüssigkeitsrakete. Der allerdings funktionierte nicht wie erhofft. Doch im Juli 1930 gab es einen Erfolg: Auf einem Boden-Teststand gelang es Nebel, eine mit Benzin und Flüssigsauerstoff betriebene Raketendüse 51 Sekunden lang zum Brennen zu bringen.
Ein Durchbruch, der sogar ein Genie beeindruckte: "Das ist die Grundlage der Weltraumfahrt", notierte Albert Einstein. Angestachelt durch den Erfolg, konnte Rudolf Nebel seine Vision in Angriff nehmen – einen Flugplatz, auf dem sich die neue Technik systematisch erproben ließe. Das Gelände in Berlin-Reinickendorf vermietete ihm die Reichswehr für zehn Reichsmark pro Jahr – offenbar beeindruckt von Nebels Bewerbungsschreiben.
"Wir beabsichtigen, den Raketenflugplatz Berlin zu einer Versuchsstation größten Stils mit besonderer Berücksichtigung der Kriegs- und Fernrakete auszubauen."

"Bodenloser Leichtsinn"

Die Versuche in Reinickendorf starteten. Einer der Helfer: Wernher von Braun, später eine der zentralen Figuren hinter der Nazirakete V2 und dem NASA-Mondprogramm.
"Er war damals 18 Jahre alt und kam eines Tages an und sagte: 'Was kann ich da tun bei der ganzen Geschichte'? Da sagte ich: 'Großartig, da können Sie unseren Chauffeur machen.'"
Das Problem: Die Raketen ließen sich nicht steuern. Einmal verirrte sich ein Prototyp sogar in die benachbarte Polizeikaserne.
"Natürlich war das ein bodenloser Leichtsinn. Aber wir haben es riskiert und glaubten, es geht gut. Und es ging auch gut."

Von den Nazis ausgebootet

Nebel und seine Leute schossen immer größere Prototypen in den Himmel. Doch dann war damit Schluss. "Die Durchführung stieß auf Schwierigkeiten, weil inzwischen die Nationalsozialisten an die Macht kamen."
1934 verbot Hitler alle privaten Raketeninitiativen. Viele von Nebels Mitarbeitern, darunter Wernher von Braun, gingen zur Reichswehr und entwickelten später die V2, die 8.000 Menschen töten sollte, vor allem in England und Belgien. Nebel selbst galt den Nazis als politisch unzuverlässig. Er wurde ausgebootet, mit 75.000 Reichsmark abgefunden – und fühlte sich um die Früchte seiner Pionierarbeit geprellt.
Nach dem Krieg kämpfte er um die Anerkennung als Raketenpionier und forderte von der Bundesregierung eine monatliche Rente. Die wurde ihm zwar nicht gewährt. Doch als Rudolf Nebel 1978 starb, war ihm ein paar Jahre zuvor als Trostpflaster eine andere Ehrung zuteil geworden – das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
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