RTL2-Dokumentation "Das Berlin Projekt"

Obdachlosigkeit ist oft noch deutlich härter

10:02 Minuten
Szenenbild aus der ersten Folge der Sendung "Das Berlin Projekt": Eine obdachlose Frau liegt mit einem Schlafsack in einem Schlauchboot - ihr Schlafplatz.
In einer Langzeitdokumentation begleitet RTL2 sieben Obdachlose, unter anderem die 39-jährige Evi. © RTLZWEI / Talpa Germany
Dieter Puhl im Gespräch mit Gesa Ufer · 08.01.2021
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Raus aus der Obdachlosigkeit – mit 10.000 Euro und jeder Menge Hilfe. RTL2 begleitet sieben Menschen, die ein neues Leben beginnen wollen. Der Diakon Dieter Puhl sagt: "Das Berlin Projekt" könne Vorurteile abbauen, zeige aber "Premium-Obdachlose".
Sieben obdachlose Menschen aus Berlin wollen einen Neustart, und RTL2 filmte sie dabei über zwei Jahre. Jetzt läuft "Das Berlin Projekt" auf dem Sender. Es ist allerdings keine klassische Sozialdokumentation, sondern ein Experiment: Die Begleiteten bekommen jeder ein Budget von 10.000 Euro und nach Wunsch jederzeit Hilfe von Experten, um den Weg aus der Obdachlosigkeit zu schaffen.
Der Diakon und Sozialarbeiter Dieter Puhl hat jahrelang die Berliner Bahnhofsmission geleitet. Er hat sich dem Kampf gegen die Obdachlosigkeit verschrieben und kommt nach der ersten Folge von "Das Berlin Projekt" zu einem gemischten Urteil: Das Hilfskonzept der Sendung sei "seriös gestrickt", lobt Puhl. Die Personen, von denen die obdachlosen Menschen unterstützt werden, würden sich in der Szene auskennen.
Obdachlosigkeit sei allerdings deutlich härter, als zumindest die erste Folge vermittelt habe, sagt Puhl. Böse ausgedrückt könnte man sagen, dass "Premium-Obdachlose" gezeigt worden seien.

Mehr Mitgefühl, weniger Vorurteile

"Den meisten Menschen geht das Thema Obdachlosigkeit am Hintern vorbei", betont Puhl. Es gebe einige Vorurteile, die eigentlich alle gegenüber Obdachlosen hätten, etwa, dass sie selber Schuld an ihrem Schicksal seien und dass in Deutschland niemand obdachlos sein müsse. "Ich glaube, dass die Beiträge es schaffen, an diesen Vorurteilen zu kratzen und die einzelnen Menschen hinter Vorurteilen aufzuzeigen."
Das Format könne es schaffen, "gesellschaftliche Empathie" zu erzeugen: "Wenn Frau Meier, die sich RTL2 reingezogen hat, an ihrem Supermarkt vorbei geht und dort der Mensch sitzt, den sie zwei Jahre lang ignoriert hat, der dort bettelt, dann würde ich mir wünschen, dass Frau Meier nach diesen Folgen sagt: Hallo! Oder diesem Menschen einen Euro in die Hand drückt. Oder dass sie Mut entwickelt, Schwellenangst überwindet - man sieht nämlich, das sind charmante Menschen - und sagt: Wie kann ich Ihnen helfen?"
Ihm selbst sei aus der Sendung vor allem ein Satz im Gedächtnis geblieben: "Zu jeder Zeit kannst du einen Experten in Anspruch nehmen." Diese ständige, kontinuierliche Begleitung würden sich auch andere Obdachlose wünschen. In der Realität müssten sie aber möglicherweise zehn Tage auf einen Termin warten, bis sie Hilfe bekämen. Das sei oft zu spät.
(jfr)
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