"Damage Control"

Inszenierte Zerstörungen

Eines der Flugzeuge steuert auf den noch unversehrten Turm des World Trade Centers in New York zu.
"Die Bilder, wo die Menschen aus dem brennenden World Trade Center springen, sind fast zu machtvoll, um sie anzuschauen", sagt Russell Ferguson, der Kunst an der University of California lehrt. © picture alliance / dpa
Von Carsten Probst · 12.07.2014
Die aus Washington ans Musée d'Art Moderne in Luxemburg weitergereichte Ausstellung "Damage Control" widmet sich der Zerstörung. Zu sehen sind John Baldessari mit den Verbrennungen seines eigenen Frühwerks und Maschinen, die sich selbst zerstören.
Besucher hätten ihn angesprochen, als die Ausstellung im Washingtoner Hirshhorn Museum lief, berichtet Russell Ferguson, einer der beiden Kuratoren: Warum denn alles so sauber und ordentlich aussehe. Sie hätten ein verwüstetes Museum erwartet, Künstler, die Feuer legen oder gleich das ganze Haus in die Luft jagen. Das sei doch heute schließlich üblich, um Aufmerksamkeit in den Medien zu bekommen. Wenn eine Ausstellung sich schon des Themas "Zerstörung" annimmt, dann muss es auch richtig krachen, so hatten sich diese Besucher das wohl gedacht und waren nun – enttäuscht? Oder erleichtert. Russell Ferguson, der Kunst an der University of California lehrt, betrachtet die Allgegenwart von Katastrophen in den Medien einmal vom künstlerischen Standpunkt:
"Die ständig wachsende Verfügbarkeit spektakulärer Aufnahmen macht es für Künstler natürlich nicht leichter. Ob sie wollen oder nicht, treten sie in einen Wettbewerb mit Schock-Bildern. Die Bilder, wo die Menschen aus dem brennenden World Trade Center springen, sind fast zu machtvoll, um sie anzuschauen. Das ist eine Herausforderung für jeden Künstler. Deswegen ist es eine allgemeine Tendenz, denke ich, dass Künstler eher versuchen, metaphorische Wege zu finden, um mit dieser Öffentlichkeit des zerstörerischen Spektakels umzugehen – schon um genug Distanz zu bekommen, um diese Bilder in einer Arbeit überhaupt unterbringen zu können."
Abwegige Besuchererwartungen
Die Ausstellung, die aus Washington jetzt an das Musée d'Art Moderne in Luxemburg gekommen ist, wagt viel, denn es besteht nicht nur in Bezug auf abwegige Besuchererwartungen ein hohes Missverständnis-Potenzial. Zerstörung aller Art begleitet die Kunstgeschichte von ihren Anfängen an, es ist ein so weites Feld mit so vielen verschiedenen Äußerungsformen, dass selbst die Eingrenzung auf die westliche Gegenwartskunst und die Zeit seit den 1950er-ahren bis heute immer noch die Frage aufwirft, wo und wie man eigentlich anfangen sollte. Nun gut, ein paar Dinge dürfen nicht fehlen: Jean Tinguely mit seinen sich selbst zerstörenden Maschinen beispielsweise; Gordon Matta-Clark, der ganze Häuser zersägte und zerlegte und diese Aktionen in Film und Fotografie festhielt; John Baldessari mit den Verbrennungen seines eigenen Frühwerks. Aber Kurator Russell Ferguson geht es eigentlich um einen ganz anderen Aspekt.
"Es fiel mir schon auf, dass viele Künstler, mit denen ich über die Ausstellung sprach, sofort die übergeordnete Bedeutung des Themas der 'Zerstörung' in der Kunst verstanden – angefangen bei diesem berühmten Picasso-Zitat, wonach jeder Akt der Schöpfung zugleich ein Akt der Zerstörung ist. Und es zieht sich durch das Werk vieler unterschiedlicher Künstler und wurde oft benannt, dass das Erfinden und Schaffen von etwas Neuem bedeutet, erst einmal Tabula Rasa zu machen mit dem, was es schon gibt. Einfach um Platz zu bekommen für dich selbst, für deine Arbeit, und für ein befreiendes Gefühl, Dinge loszuwerden, die dir bisher im Weg standen."
Duchamp als Vater inszenierter Zerstörungen
In ihrem berühmt gewordenen "Cut Piece" ließ sich Yoko Ono bei einer Bühnenperformance Mitte der sechziger Jahre vom Publikum mit Scheren ihr Kleid zerschneiden und sich damit geradezu symbolisch auch von alten Konventionen befreien. Der kanadische Fotokünstler Jeff Wall begann sein Schaffen der inszenierten Fotografie 1978 unter anderem mit Aufnahmen eines völlig verwüsteten Zimmers, bei dem er alle Einzelteile des Chaos' aber bis ins Details selbst angeordnet hatte. Zugleich zitierte er damit ein Gemälde von Eugene Delacroix aus dem 19. Jahrhundert und ließ die großformatige inszenierte Fotografie damit selbst wie Malerei wirken. Vater solcher konzeptuell inszenierten Zerstörungen ist fraglos Marcel Duchamp, der selbst Werke von hohem Zerstörungspotential geschaffen hat, auch wenn sie tatsächlich gar nicht so zerstörerisch aussehen. Seine Ready Mades wie der Flaschenständer oder das Urinoir, das er "Springbrunnen" nannte, zielten nicht auf die Vernichtung von Dingen, sondern der bürgerlichen Kunsttradition Europas. Sie sind zwar nicht Teil dieser Ausstellung, aber doch indirekt allgegenwärtig.
"Duchamps 'Springbrunnen' richtete tatsächlich einen ziemlichen Schaden an und zerstörte, zumindest vom konzeptuellen Standpunkt aus betrachtet, eine ganze Menge Dinge, denn er passte überhaupt nicht ihn das Denken von Kunst bis zu diesem Zeitpunkt. Danach musste man völlig neu darüber nachdenken, was man eigentlich unter Kunst versteht. Aber es hatte natürlich keine zerstörerische Komponente im sichtbaren Bereich. Aber mein Eindruck ist, dass es seither eine Reihe von Werken gibt, die gerade dieses unsichtbare destruktive Element sichtbar machen wollen. Denken Sie nur an die Zeichnung von Willem de Kooning, die Robert Rauschenberg auslöschte. Das ist das Beispiel für einen Künstler einer jüngeren Generation, der sich einerseits respektvoll gegenüber der vorangegangen Generation verhält, aber zugleich etwas aus dem Weg räumen muss, um die eigene Arbeit überhaupt anfangen zu können."
Natürlich gibt es auch Arbeiten, die sich – ganz ernsthaft oder ironisch – mit der Ästhetik der Zerstörung auseinandersetzen. Angefangen bei der erwähnten Chaos-Inszenierung von Jeff Wall über die überaus romantischen Fotografien von Verkehrsunfällen des Schweizer Polizisten und Hobbyfotografen Arnold Odermatt oder Bruce Conners rasender filmischer Montage historischer Zerstörungsaufnahmen und von Atombombentests. Als Betrachter findet man sich wieder in der altbekannten Faszination des Katastrophalen. Und doch hat man am Ende dieser durchaus streng und durchdacht gehängten Ausstellung nie den Eindruck, dass es um die Lust am Katastrophalen geht, sondern immer um einen produktiven, künstlerischen Akt.
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