"Roter Hahn im Biberpelz"

Katharina Thalbachs Geburtstagstheater

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Diese Inszenierung ist eine echte Familienangelegenheit. Vorne: Katharina Thalbach, Mitte v. l.: Tochter Anna und Enkelin Nellie, hinten: Halbbruder Pierre. © Michael Petersohn (www.polarized.de)
Von Andrea Gerk · 19.01.2014
Zu ihrem 60. Geburtstag holt Katharina Thalbach ihre Familie mit auf die Bühne: Ihr Halbbruder Philippe Besson inszeniert Hauptmanns "Roter Hahn" und "Biberpelz", auch ihre Töchter sind dabei. Fazit: Übertrieben, aber das Publikum liebt es.
Katharina Thalbach hat ihre Verwandtschaft zu einer Art öffentlicher Familienaufstellung gebeten: Gemeinsam mit Tochter Anna und Enkelin Nellie, sowie ihrem Halbbruder Pierre Besson, stand sie an ihrem 60. Geburtstag auf der Bühne. Gegeben wurden zwei Stücke, an denen sich schon seinerzeit Bertolt Brecht einmal versucht hatte: Gerhard Hauptmanns Diebeskomödie in vier Akten, "Der Biberpelz“ aus dem Jahr 1893 und die Tragikomödie "Der rote Hahn", die Hauptmann als eine Art Fortsetzung acht Jahre später veröffentlichte.
Die Hauptfigur ist Mutter Wolffen (Katharina Thalbach), eine einfache, aber doch mit Bauernschläue gesegnete Frau. Ihre Familie hält sie durch Gaunereien und kleine Diebstähle über Wasser, ihren Mann bringt sie mit List, Tücke und Schnaps regelmäßig dazu, sich (ohne es zu merken), ihrem Willen zu fügen. Frau Wolffs Gegenspieler ist der Amtsvorsteher Wehrhahn (Pierre Besson), der Inbegriff preußischer Redlichkeit und der personifizierte Untertan.
Geschichte einer Gescheiterten
Was im Biberpelz als Komödie beginnt, entwickelt sich in "Der rote Hahn" zur tragischen Geschichte einer Gescheiterten. Denn die harmlose Gaunerei der Frau Wolff kippt ins Verbrecherische, sie zündet ihr Haus an, um die Versicherungssumme zu kassieren und verleumdet den behinderten Sohn eines Nachbarn, um von sich selbst abzulenken.
Thalbachs Halbbruder Philippe Besson hat (gemeinsam mit Jan Liedtke) aus diesen beiden Stücken eine Textfassung erstellt: Aus rund 130 Seiten wurden knapp über 60, aus acht Akten sechs. In Brechts Fusionsversuch spielte damals übrigens Katharina Thalbachs Mutter Sabine die Rolle der Tochter Adelheid, in der nun die 18-Urenkelin Nellie ihr Theaterdebüt gibt.
Die Bühne (Momme Röhrbein) besteht aus einer multifunktionalen Treppe, die sich mit wenigen Handgriffen verwandeln lässt: Mal wird ein Schubfach herausgezogen und durch zwei Kissen in ein Sofa verwandelt, mal verschwinden Vorräte darin usw. Eingerahmt sind die verschiedenen Akte von kurzen Schwarz-Weiß-Filmen (Video: Maximilan Reich), traumartigen Szenen, die ästhetisch gelungen und auf der Höhe der Zeit sind - im Gegensatz zu allem anderen an diesem Abend.
Es wird berlinert bis zum Unverständnis
Die Figuren treten in Kostümen (Gabriella Ausonio) der Kaiserzeit auf: Da fehlt weder die bis zu den Knien reichende Unterhose von Mutter Wolffen, noch der Spitzhelm oder die Löcher in den Socken der Herren. Alle Figuren berlinern bis zur Unverständlichkeit, sind mit Sprachfehlern und weiteren Dialekten gesegnet – so stellt man sich heute offenbar Naturalismus vor. Doch warum man diesen ausführlichen (die Aufführung dauert fast drei Stunden) Ausflug in die Klamottenkiste der Theatergeschichte unternommen hat, erzählt der Abend nicht.
Was man sieht ist ein putziges Proletarierdrama, das gnadenlos ausgespielt wird: Da darf niemand mal nur sitzen oder stehen auf der Bühne, immer rollen die Augen, werden Nasen gerümpft und alles mit möglichst viel Ausdruck! Bis Mutter Wolffen einen ihrer Sprüche, über die sich das Publikum köstlich amüsiert, loswerden kann, muss unheimlich viel herumgegangen, gerackert und geräumt werden - so wird der ohnehin schon abgestandene Witz auch noch furchtbar zäh.
Bei Mutter in die Schauspielschule
Anna und Nellie Thalbach, die Mutter Wolffens’ Töchter spielen, müssen bei ihrer Mutter in die Schauspielschule gegangen sein, sie spielen ganz genauso. Jörg Seyer als Wolffscher Ehemann Nr. 2, kann überhaupt nicht normal sprechen, sondern muss alles herausschreien, was in seinem Text steht. Allein Pierre Besson kriegt es als Amtsvorsteher Wehrhahn hin, etwas auch mal nur anzudeuten und dem Zuschauer so ein bisschen Luft zu lassen, um vielleicht mal einen Gedanken, ein Gefühl selbst zu Ende zu führen.
Mit den üblichen Kriterien, mit denen man sonst auf zeitgenössisches Theater schaut, kommt man hier nicht weit: Was sagt uns das Stück heute? Wenn man es so spielt: nichts. Was sagen und die Künstler über das Theater heute? Das es auf diese Art museal, peinlich und als Kunstform überholt ist. Und das Publikum? Ist begeistert und feiert sein Idol und sich selbst: die 80er-Jahre, in denen man noch jung war. Und Katharina Thalbach? Der ist - geführt von wirklichen Regiekünstlern – manchmal etwas geglückt, das man zeitgemäßes Schauspiel nennen konnte.
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