Rot-Rot-Grüne Flüchtlingspolitik in Thüringen

Keine oder mehr Abschiebungen?

Ein Kleinkind steht am 21.11.2013 in Eisenberg (Thüringen) auf dem Gelände der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge und Asylbewerber vor Wohncontainern. Die Suche nach einer neuen Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Thüringen gestaltet sich weiterhin schwierig. Es sei noch keine Entscheidung gefallen, sagte ein Sprecher des Innenministeriums der Nachrichtenagentur dpa in Erfurt.
Ein Kleinkind vor einer Erstaufnahmestelle für Asylbewerber in Thüringen © Marc Tirl/dpa
17.08.2015
Der Freistaat Thüringen will bald weitere Erstaufnahmestellen in Dienst nehmen und die bestehenden sanieren. Doch zunächst spricht die rot-rot-grüne Landesregierung nur über die Fragen: Wie sollen mehr Flüchtlinge untergebracht werden? Wie kann die Rückführung Unberechtigter beschleunigt werden?
Lehrerin: "Guten Morgen!"
Schüler: "Guten Morgen!"
Lehrerin: "Wie geht es ihnen?"
Schüler: "Gut, danke. Und ihnen?"
Lehrerin: "Auch gut, danke."
40 meist dunkle Augenpaare hängen an den Lippen von Annegret Gensler. Sie unterrichtet Deutsch in der Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Suhl. Ihre Schüler sind – geschätzt – zwischen sechs und 50 Jahren alt. Die meisten sind ganz bei der Sache.
Lehrerin: "Stellen sie sich vor!"
Schüler: "Ich heiße Arno, ich komme aus Serbien. Ich wohne in Suhl."
Lehrerin: "Und Sie?"
Schüler: "Ich heiße Mohammed, ich komme aus Kirgistan. Ich wohne in Suhl."
Schüler: "Ich heiße Machmud, ich komme aus Syria. Ich wohne in Suhl."
Schüler: "Ich heiße Syria, ich komme in Suhl." (Lachen) "Ich komme aus Syria, ich wohne in Suhl."
Sie haben nicht viel zu lachen in diesen Tagen – die Flüchtlinge in der Suhler Erstaufnahmestelle. Die ehemalige Offiziershochschule ist für 1.200 Menschen ausgelegt. Momentan leben aber 1.600 hier. Vor wenigen Wochen waren es sogar noch 200 mehr. Die meisten kommen aus Bürgerkriegsgebieten; die Flüchtlinge vom Balkan sind weniger geworden. In den Gängen der Plattenbauten drängen sich die Menschen. Sie zeigen ihre Zimmer her – von Luxus ist nichts zu sehen.
Der Freistaat Thüringen will bald weitere Erstaufnahmestellen in Dienst nehmen und die bestehenden sanieren. Der Migrationsminister, Dieter Lauinger:
Dieter Lauinger: "Wenn die Zahlen nicht abnehmen bzw. weiter steigen, bin ich an einem Punkt, wo ich auch nicht mehr ausschließen würde, dass Thüringen auf Container oder im allergravierendsten Fall auch auf Zelte zurückgreifen muss. Bzw. wir schließen es auch nicht aus, dass man gegebenenfalls auch öffentliche Einrichtungen auch beschlagnahmt, um dort Flüchtlinge unterzubringen."
Es ist symptomatisch für die Rot-Rot-Grüne Landesregierung, dass nur darüber gesprochen wird, wie mehr Flüchtlinge untergebracht werden können, nicht darüber, wie der Zustrom begrenzt oder die Rückführung Unberechtigter beschleunigt werden könnte. Der Ministerpräsident, Bodo Ramelow:
Bodo Ramelow: "Und wir überlegen gerade, Herr Lauinger und die ganze Landesregierung, wie wir mit diesem Konzept der schnelleren Weiterverteilung die Integration in die Thüringer Gesellschaft organisieren können."
Von 600 Ausreisepflichtigen sind 400 freiwillig ausgereist
Die Opposition von CDU und AfD sieht hier die große Angriffsfläche der Landesregierung: Der migrations- und integrationspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion musste am vergangenen Freitag unseren Interviewtermin absagen.
Christian Herrgott: "... weil sich bei uns im Landkreis eine ungewöhnliche und auch in Deutschland einmalige Situation ergeben hat: Dass Hals über Kopf eine Polizeidienststelle im Landkreis geräumt wurde, um dort Flüchtlinge unterzubringen, Asylbewerber. Ich hoffe da auch das Wort des Innenministers, dass entsprechend nach sechs Wochen diese Maßnahme beendet wird. Allerdings glaube ich nicht daran."
CDU-Politiker Herrgott fordert, nicht bleibeberechtigte Flüchtlinge konsequent abzuschieben. Sonst würden falsche Signale gesetzt. Der grüne Migrationsminister Lauinger aber setzt auf freiwillige Rückkehr statt Abschiebungen.
Dieter Lauinger: "Wenn ich ihnen sage, dass von sechs angeordneten Abschiebungen eine stattfindet, weil: In fünfen gibt's Probleme! Wie das: Ein Kind ist nicht da; kurzfristige Erkrankung von irgendjemand; Papiere sind weg; das Land sagt, 'Nee, doch nicht; nehmen wir nicht auf!' – was auch immer. Dann leiern sie über einen Verwaltungsaufwand was an, bestellen Polizei, setzen das ganze Verfahren in Gang, und zum Schluß klappt eine von sechs angeordneten Abschiebungen. Die Alternative ist zu sagen: man schiebt Familien ab, auch wenn Kinder gerade nicht greifbar sind. Werden wir nicht tun!"
Von 600 Ausreisepflichtigen in Thüringen in diesem Jahr seien immerhin 400 freiwillig in ihre Heimatländer zurückgekehrt. 79 wurden abgeschoben. Abschiebungen seinen für ihn das letzte Mittel, das er aber auch nicht ausschließt.
Dieter Lauinger: "Die Frage, ob wir 50 oder 60 Leute abschieben oder nicht abschieben, ist bei den Zahlen, die ich jetzt genannt habe, eigentlich komplett irrelevant. Ich selber bin in dieser Position auch noch nicht abschließend entschieden."
Die Opposition sieht das anders. Christian Herrgott, CDU:
Christian Herrgott: "Wenn ich von vornherein nur auf freiwillige Ausreisen setze, dann fehlt das Instrument und auch die Abschreckungswirkung: Was passiert, wenn ich eben nicht freiwillig ausreise?"
"Der Bund kommt schlichtweg seiner Pflicht nicht nach"
Die Rot-Rot-Grüne Landesregierung spricht zwar noch mit einer Stimme, aber der Innenminister Holger Poppenhäger, SPD, deutet vorsichtig andere Töne an als der grüne Migrationsminister. Er spricht von aufgelaufenen 800 Fällen von Flüchtlingen, die Thüringen und Deutschland wieder verlassen müssen.
Holger Poppenhäger: "Ja, wir haben im Moment einen großen Zustrom an Flüchtlingen und Asylsuchenden. Und wir versuchen nach unseren Möglichkeiten, auch alle aufzunehmen und allen ein ordentliches und geordnetes verfahren zu ermöglichen. Und die schiere Zahl ist im Moment sehr anspruchsvoll ..."
Allerdings seien die dafür zuständigen vier Mitarbeiter im Landesverwaltungsamt völlig überfordert. Sie sollen bald verstärkt werden.
Holger Poppenhäger: "Wir werden sehr zügig handeln."
Allein, eine schnelle Lösung werden auch die vorgesehenen acht Mitarbeiter nicht bringen. Suhls Oberbürgermeister Jens Triebel sieht das große Problem stattdessen ganz woanders.
Jens Triebel: "Erstaunlicherweise redet keiner über das Versagen unseres Bundesinnenministers Dr. de Maiziere; es keiner über das Versagen von Frau Merkel. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Fisch vom Kopf her zu stinken beginnt. Der Bund kommt schlichtweg seiner Pflicht nicht nach. Also, ich erwarte von der Bundesregierung: Das Verwaltungsverfahren, das zur Anerkennung oder zur Ablehnung eines Asylantrags führt, muss deutlich beschleunigt werden! Es kann nicht sein, dass die Flüchtlinge hier fünf Monate warten. Worauf warten? Ich habe kein Verständnis dafür, dass es keinen politischen Willen auf Bundeseben gibt, in der Frage sichere Herkunftsländer sich sicher zu positionieren. Da bin ich sprachlos. Ich kann mir die Untätigkeit unserer Bundeskanzlerin nicht erklären."
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