Rot-Rot-Grün in Thüringen

Mit Ramelow kehrt die DDR nicht zurück

Bodo Ramelow, Spitzenkandidat und Fraktionschef der Linken im Thüringer Landtag.
Bodo Ramelow könnte als Linken-Politiker Ministerpräsident in Thüringen werden. © picture alliance / dpa / Martin Schutt
25.10.2014
Sicher gebe es bei der Linkspartei einen Schatten der Vergangenheit, so Publizist Dieter Bub. Doch die Warnungen vor einem rot-rot-grünen Regierungsbündnis in Thüringen hält er für übertrieben - und geht den wahren Ursachen für die Empörung auf den Grund.
Ein Gespenst geht um in Deutschland. Sein Name: Bodo Ramelow.
Wir sind gewarnt – von der Kanzlerin, die plakativ die Gefahr des Marxismus beschwor, von Thüringens Noch-Ministerpräsidentin Lieberknecht, die an die Mitglieder der SPD appelliert, dem Landesvorstand die Gefolgschaft zu verweigern, und von dreisten Politikern, die meinen, mit Ramelow kehre die DDR-Diktatur zurück.
Die Schlagzeilen-Krawallnicks solchen Unfugs verschweigen: Bodo Ramelow war kein Gefolgsmann Honeckers, sondern kommt aus dem Westen – er war hüben wie drüben Gewerkschafter.
Und: Die Partei Die Linke regiert seit langem als Partner der SPD in Deutschland mit, zunächst in Mecklenburg-Vorpommern, dann in Brandenburg und danach in Berlin, allen Unkenrufen zum Trotz durchaus zuverlässig, zum Beispiel in Berlin mit einem Wirtschaftssenator, der wider Erwarten gut mit den Spielregeln des real existierenden Kapitalismus umzugehen wusste.
Auf den unteren Etagen der Politik, in Kreisen und Gemeinden ist die Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg vielerorts selbstverständlich – und vor allem zum Vorteil der Kommunen.
Bis heute gibt es die Unbelehrbaren
Sicher gibt es einen Schatten des Vergangenen. Erst kürzlich wieder lieferten sich die Linken einen heftigen Streit darüber, ob die DDR eine Diktatur, ein Unrechtsstaat, war. Die Opfer, von der Staatssicherheit verfolgt, eingesperrt und abgeschoben, muss diese Diskussion noch immer empören.
Sie wissen: Bis heute gibt es die Unbelehrbaren, von denen die meisten das Rentenalter erreicht haben, und unter ihnen sind noch immer unentdeckte Stasi-Mitarbeiter. Klar ist auch: Viele SED-Genossen wechselten als Wendehälse ihre politische Identität, wurden zu Vertretern der Demokratie oder behielten in Verwaltungen, auch in den Medien ihre alten Posten.
Wer sich darüber erregt, sollte sich einen Rückblick in die Geschichte zumuten. Mit der Gründung der Bundesrepublik konnten Alt-Nazis höchste Ämter übernehmen: Globke als Berater Adenauers, Oberländer als Bundesminister, Gehlen als BND-Chef, Filbinger als Ministerpräsident.
Sie kamen nicht nur aus einem Unrechtsstaat, sondern aus der schlimmsten Diktatur der deutschen Geschichte, die für Millionen Menschen den Tod brachte. Nazis bekleideten überall unbehelligt wichtige Positionen.
Man stelle sich 1990 vor: Egon Krenz, Erich Mielke oder Oskar Fischer, der war mal Außenminister der DDR, wären Mitglieder der Bundesregierung in Bonn geworden. Das war eben nicht vorstellbar!
Der trudelnden Partei einen Impuls geben
Mittlerweile engagieren sich in der Partei Die Linke jüngere Leute, die weder Anhänger noch Mitläufer der SED waren, frei davon sind, noch heute deren Politik zu verherrlichen. Auch der Wessi Bodo Ramelow gehört dazu. Vielleicht gelingt ihm, der trudelnden Partei einen Impuls zu geben, aus ihrem verlustreichen Tief zu kommen.
Folgen dürfte ein rot-rot-grünes Bündnis in Thüringen für das Machtverhältnis gewiss im Bundesrat haben. Und darin mag der wahre Grund für den auf- und abschwellenden Chor der Empörung liegen. Auch wenn die SPD den Erfurter Dreier der linken Mitte als bundespolitische Option von sich weist, wird in Hinterzimmern schon länger über diese Perspektive gesprochen, vor der die Union sich fürchtet.
Längst versucht die Kanzlerin deswegen einen Schmusekurs mit Kathrin Göring-Eckardt und Kollegen. Denn die Entscheidung, welche neuartige Koalition eine Zukunft haben könnte, rot-rot-grün oder eben schwarz-grün, liegt offenkundig bei Bündnis 90/Die Grünen, nicht aber bei SPD und Linken.
Zum Schluss: Bodo Ramelow hat unerwarteten Beistand erhalten. Pfarrer Schorlemmer, ein Bürgerrechtler aus Zeiten der DDR, hat ihm seinen Segen gegeben – als wahrhaft lupenreinem Demokraten, 25 Jahre nach der friedlichen Revolution.
Dieter Bub, Publizist und Buchautor, verbrachte seine Kindheit und Jugend in der DDR. Zwischen 1979 und 1983 war er Korrespondent des "Stern" in Ostberlin. Nach 1990 realisierte er für den NDR und den MDR große Dokumentationen zur Geschichte der DDR.
Der Publizist und Buchautor Dieter Bub.
Der Publizist und Buchautor Dieter Bub.© Privat
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