Ror Wolf: "Die Gedichte"

Die Dramen des Alltags in Versen

Der Schriftsteller Ror Wolf vor einem Bücherregal.
Der von Ror Wolf besungene Nonsens ist nur ein scheinbarer. Dahinter lauern die Dramen des Alltags - und der Freizeit. © Cover Ror Wolf "Die Gedichte" / picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Von André Hatting · 29.06.2017
Aus Anlass seines 85. Geburtstags erscheinen die Gedichte von Ror Wolf noch mal in einem edlen Band. Der Verfasser experimenteller Prosa arbeitet als Dichter ganz traditionell. Aber die volksliedhafte Leichtigkeit seiner Texte ist trügerisch.
"Es ist zweifellos wahr, ich habe die Welt entdeckt." Das hat er ganz sicher, der Ror Wolf, und zwar die große Welt der kleinen Dinge. Alltagsdinge. Wolfs Verse sind Gelegenheitsgedichte, Moritaten, Gebrauchslyrik, gewürzt mit der Komik eines Wilhelm Busch und der Melancholie eines Erich Kästner. Von Anfang an interessiert ihn nicht die Banalität des Bösen, sondern das Böse der Banalität wie im sonntagmorgen, geschrieben1960:
der knüppel haut den rücken krumm
der rücken platzt zur morgenstund
geruch nach frischer semmel und
nach milch und honig geht herum
geläut von glocken welches dort
herr brömel lächelt resolut
vom turme kommt es hüpft das blut
herr brömel haut in einem fort
(...)
mich drecksack kartenspieler rüpel
mich branntweintrinker atheist
ihr herren dieses leben ist
dies leben ach es ist schon übel

Kleinbürgerlicher Antiheld

Ein paar Jahre später, 1965, taucht erstmals Hans Waldmann auf, Ror Wolfs wichtigste Gestalt in seinem dichterischen Werk. Ein halbes Jahrhundert und über hundert Gedichte lang wird dieser Nachfahre Palmströms den Lyriker begleiten. Zahlreiche Versuche, ihn wieder loszuwerden, scheitern, der Abschied fällt unendlich schwer, denn der kleinbürgerliche Antiheld Hans Waldmann ist Ror Wolfs tragikomische Selbstbehauptung gegen das Absurde der Welt:
Waldmann geht und steigt in einen Wagen.
Und inzwischen ist die Welt im Wandel:
Die Verlagskultur, der Lebensmittelhandel.
Waldmann sagt: Ich möchte nichts mehr sagen.
Der große Erfinder Ror Wolf, ein Meister der grafischen Montage, Verfasser experimenteller Prosa, Autor raffinierter O-Ton-Collagen arbeitet in seinem dichterischen Werk ganz traditionell: Fast alle Strophen bestehen aus vier Versen, die wiederum haben meist einsilbige Senkungen und einen klassischen Endreim. Aber diese volksliedhafte Leichtigkeit ist trügerisch und der so besungene Nonsens nur ein scheinbarer. Dahinter lauern die Dramen des Alltags. Und der Freizeit.

Fußball literarisch geadelt

Das zeigt Ror Wolf besonders beeindruckend an einem seiner Lieblingsthemen, über das er einmal gesagt hat: "Die Welt ist zwar kein Fußball, aber im Fußball, das ist kein Geheimnis, findet sich eine ganze Menge Welt." Schon Anfang der 70er hat Wolf diesen Sport literarisch geadelt. Die Fußball-O-Ton-Hörspielcollagen gehören zu seinen populärsten Arbeiten. In den zwölf "Rammer & Brecher Fußballsonetten" fassen schlichte Worte, ebenso streng wie elegant komponiert, tiefste Emotion. Freud und Leid wechseln mit Spielverlauf und Zeilenfall, es sind 90-Minuten-Dramen bei strömendem Regen:
Vorbei Daneben Aus und Ende. Schluss.
Die Ecke jetzt, die nehmen wir noch mit.
Dann gehen wir und steigen in den Bus.
Es ist beruhigend zu wissen, dass der Schöffling Verlag gerade an einer Ror-Wolf-Gesamtausgabe arbeitet. Dass der Verlag zum 85. Geburtstag dieses faszinierenden Autors noch mal seine Gedichte in einem edlen Extraband veröffentlicht, ist ein schönes Geschenk - für den Autor und für uns Leser.

Ror Wolf: Die Gedichte.
Frankfurt am Main. Schöffling, 2017. 576 Seiten, 25 Euro

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