Romeo und Julia in Kreuzberg

Von Volker Trauth · 21.03.2007
"Avtoput Avrupa - von Istanbul bis Berlin" - ist der Titel des aktuellen Festivals im Berliner Hebbel-Theater am Ufer: Staatliche und Freie Theatergruppen aus der Türkei, Ex-Jugoslawiens, aus Berlin und dem gesamten Bundesgebiet zeigen ihre Aufführungen. Um das Zusammenleben in der neuen Heimat ging es, um Geschichten von den Menschen entlang der Transitstrecke, um das Gemeinsame und Trennende auf dem Weg ins vereinte Europa.
Die Inszenierung "Sonne" - Buch und Regie, Musik und Bühnenbild wurden geschaffen vom Kreuzberger Multitalent Tamer Yigit. Eine Frau um die Vierzig spricht im Stil der Rapper von ihren Zukunftsängsten und ihren Selbstzweifeln. Hatte Yigit in seinem ersten Werk "Meine Melodie" ganz direkt vom schwierigen Weg ins Erwachsensein in der fremden Stadt Berlin erzählt, so geht es hier sinnbildlich um die Situation des Neuanfangs nach schmerzhaft erlebter Niederlage.

Ein junger Mann schreibt an seine Familie im Herkunftsland und gesteht seine Niederlage ein, Vater und Sohn – beide Deutsche -schreien einander den Hass ins Gesicht. Auf der Leinwand im Hintergrund wabern Nebel auf kahlem Bergrücken und geben den Geständnissen und Anklagen der Figuren im Vordergrund einen bedrückenden Rahmen. Wie aus dem Nichts aber kommt Hoffnung auf, mit dem Schein der Sonne wächst der Überlebenswille.

Deutsche und Türken stehen auch gemeinsam auf der Bühne in Neco Celics Inszenierung von Shakespeares Stück "Romeo und Julia", das Feridun Zaimoglu in seiner Textfassung nach Berlin-Kreuzberg verlegt hat. Die Schlägerbanden der verfeindeten Häuser treffen aufeinander; die Familie des brutalen deutschen Geschäftemachers Capulet trifft auf die des türkischen Schutzgelderpressers Montagu.

Gewalt liegt über der Szene, der Verbalattacke folgt die mit Messern und Schlagstöcken. Der Beschützer des Paares ist nicht der christliche Pater Lorenzo, sondern der Hodscha aus der nächstgelegenen Moschee, und Paris, der unterlegene Bewerber, ist ein bankrotter Spekulant. Am Ende teilen sich die beiden Liebenden das tödliche Gift, sie gehen bewusst aus dem Leben, weil die Verhältnisse nicht so sind.

Den rigiden dramaturgischen Operationen fehlt es an zwingender Logik, die mit Fäkalienausdrücken gesättigten Schimpftiraden nutzen sich bald ab und im Schauspielerischen gibt es neben der souveränen Leistung Udo Kroschwalds als Capulet allzu viel Ungeformtes und Unbeholfenes.

Künstlerisch überzeugender die Inszenierung "Faked", die der in Izmir ausgebildete türkische Schauspieler Nurkan Erpulat, der in Berlin Regie studiert, vorgestellt hat. Kroatische, israelische, türkische und deutsche Schauspieler auf einer verwirrenden Suche nach der eigenen Identität.

Die Figuren wechseln im jähen Bruch ihre Identitäten. Aus Tätern werden Opfer, aus Helden Scharlatane. Immer aber bleibt die ungewisse Frage "Wer bin ich?". Regisseur Nurkan Erpulat beweist die Fähigkeit, eine Szene auf die Spitze treiben zu können und überraschend ins Gegenteil umschlagen zu lassen.

Ging es in den bisher genannten Inszenierungen um das Problem des Zusammenlebens im Gastland, so erzählt Stefan Kaegis Produktion "Cargo Sofia-Berlin "Geschichten von der Strecke dorthin. Entsprechend dem Prinzip der Gruppe "Rimini-Protokoll", von der Kaegi kommt, werden so genannte "Spezialisten des Alltags" ins Spiel gebracht: Busfahrer, Grenzer, Zöllner, Lagerverwalter. Ein bulgarischer Busfahrer begleitet die Zuschauer in einem umgebauten Lastwagen auf einer fiktiven Fahrt von Sofia nach Berlin. Der Reiz dieser Inszenierung liegt im Authentischen, in ihren Mitteln jedoch nutzt sie sich bald ab.

Anders die Aufführung "Auf der anderen Seite" vom international wiederholt ausgezeichneten Zekaem Theater aus Zagreb.

Das Autoren- und Regieduo Natasa Raikovic und Bobo Jelcic zeigte eine poetisch dichte, schauspielerisch sensibel gearbeitete Aufführung über vier Normalbürger in einem Zagreber Mietshaus. Alle sind sie auf der Suche nach menschlicher Zuwendung, alle schlagen sie die Zeit tot; ihre gegenseitigen Annäherungsversuche enden kläglich. Schauspielerisch ohne pseudodramatische Ausbrüche und eitle Selbstdarstellungen und doch spannend bis zur letzten Sekunde.

Im Rahmen eines Festivals, in dem zumeist das klug Erdachte Oberhand gewann gegenüber dem handwerklich Gekonnten – eine Ausnahme.
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