Roman

Zwischen Unterwerfung und Freiheit

Von Eva Behrendt · 22.05.2014
In ihrem Buch "Wie sollten wir sein?" erzählt die Autorin Sheila Heti aus ihrem bourgeois-bohèmistischen Leben. Ein Roman über Frisiersalons, feministisches Theater und masochistische Sex-Affären.
"How a person should be", heißt der Roman der Kanadierin Sheila Heti im Original. In der Übersetzung des Rowohlt-Lektors Thomas Überhoff wurde daraus die Frage: "Wie sollten wir sein?" Während der deutsche Titel das Normative der Frage gut einfängt, führt sein "Wir" etwas in die Irre: Tatsächlich geht es in diesem faszinierenden "Roman aus dem Leben" um das Wesen des Einzelnen, um Individualität und ihre Masken – die ursprüngliche Bedeutung des Wortes "persona" in der Antike.
Sheila Heti, geboren 1976 in Toronto, studierte Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin mit ungarisch-jüdischen Wurzeln, ist höchstselbst die Protagonistin dieses Buches, das sein Material offensiv aus dem bourgeois-bohèmistischen Leben der Autorin und ihres Freundeskreises bezieht. Die Ausgangssituation ist schnell umrissen: Die frisch geschiedene Sheila soll ein Auftragsstück für eine feministische Theatergruppe schreiben. Doch statt sich ans Werk zu machen, verdient sie ihr Geld lieber als Friseurin oder diskutiert mit ihrer Freundin, der Malerin Margaux Williamson, über Humor (als ehemalige Clownsschülerin glaubt Sheila, "die besten Künstler wissen, was komisch ist"), Hässlichkeit und Schönheit. Das Aufnahmegerät läuft derweil, und Sheila baut die abgeschriebenen Dialoge seitenweise in ihr Buch ein. Oder sie verliert sich in der tendenziell masochistischen Sex-Affäre mit ihrem Lover Israel, der ihr schriftlich Aufgaben stellt – etwa die, ihm in einem Café einen erotischen Brief zu schreiben und sich dabei einem Fremden ohne Unterwäsche zu präsentieren.
Narzisstische Spiegelung des eigenen Egos
Zwischen diesen beiden Polen, der sexuellen Unterwerfung unter die Regeln Israels auf der einen und der Entwicklung eigener Regeln und Regelverstöße als Künstlerin (die sich im übrigen gerade von Männern nichts mehr erzählen lassen will) auf der anderen Seite, pendelt Sheila unzufrieden hin und her. Sie trifft damit den Nerv einer Wohlstandsgeneration, die es gewohnt ist, an ihrem Ego wie an einem künstlerischen Projekt zu arbeiten, es öffentlich zu gestalten, narzisstisch zu bespiegeln und beständig ästhetische Entscheidungen zu treffen. "Zu Beginn schenkten die Götter uns die Freiheit", heißt es einmal, "am Ende entdeckten wir uns auf zwei Wegen: entweder durch den Wahn und das Vergessen mittels der Drogen – was anfangs nicht Betrug zu sein schien, sondern eine Art Zugang zum Erhabenen – oder durch die Inszenierung unserer selbst als ein bewundernswertes Objekt: durch das Bestreben also, das eigene Ich in ein Objekt des Verlangens und Begehrens zu verwandeln, indem wir sein Bild schönten".
Für den Roman, der so anstelle des feministischen Theaterstücks entsteht, hat das interessante formale Konsequenzen: Trotz des vagen erzählerischen Bogens ist Hetis Roman vor allem eine kunstvoll in Szene gesetzte Materialsammlung. Essayistisch-reflektierende Passagen wechseln mit platonischen Dialogen, Prosaschnipseln und Traktaten; ein Kern- und Zwischenstück des Buchs bildet die bitter-komische Lobpreisung des Liebhabers Israel als seelenloser Fickmaschine. Erst gegen Ende nimmt das Experiment ein paar konventionellere Wendungen, verliert die peinigende Frage "How a person should be" an Dringlichkeit. Die Neurose löst sich wenigstens kurzfristig auf – für die Kunst bedauerlicherweise, für das Leben zum Glück.
Es kommt nämlich Moral ins kunstvolle Spiel. Und zwar in der Beziehung zu Margaux, die ihre Freundschaft zu Sheila nicht auf den wechselseitigen Materialaustausch begrenzt wissen will, sondern darüber hinaus Loyalität und, ja, Charakter einfordert. Sheila Heti hütet sich zwar, daraus eine Regel abzuleiten, aber klar ist doch: Objekte können perfekt sein, führen aber keine Beziehungen. Mit Subjekten verhält es sich umgekehrt.

Sheila Heti: Wie sollten wir sein? Ein Roman aus dem Leben.
Aus dem Amerikanischen von Thomas Überhoff
Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2014
335 Seiten, 19,95 Euro