Roman

Wütende Lebensbeichte

Eine Lesebrille liegt auf einem Bücherstapel.
Neuer Lesestoff © picture alliance / dpa / Ismo Pekkarinen
Von Verena Auffermann · 02.05.2014
In ihrem neuen Roman erzählt Hanne Kulessa die Geschichte einer verzweifelten Liebe. Entstanden ist eine packende psychologische Studie und Anklage gegen Egoismus und Geldgier.
In den Veröffentlichungen der 1951 in Loxstedt bei Bremerhaven geborenen Autorin und Journalistin Hanne Kulessa erläutert oft ein Zitat das Schreibmotiv. Das kann eine Skulptur sein wie im "Schwarzen Akt" (2008) oder wie in ihrem neuen Roman "An Kuhl" eine Gedichtzeile Guillaume Apollinaires: "Von Rot zu Grün stirbt alles Gelb".
Was "stirbt" auf dem Weg von einer Farbe zur nächsten? Das Gelb, das sich auch auf "Geld" reimt. Poesie und Geld sind die beiden gegensätzlichen Pole, die an der Existenz von Kuhl, der Hauptfigur, zerren. Kuhl hat nichts mit dem eingedeutschten Jugend-Lieblingswort "cool" zu tun. Es ist der Nachname eines Mannes, der seinen Vornamen nicht leiden kann.
Maria erzählt die Geschichte ihrer verzweifelten Liebe zu Kuhl. Es ist eine in Briefform geschriebene Lebensbeichte, geschrieben, um zu verstehen und zu überleben. "An Kuhl" ist auch ein Hassbuch: voller Hass auf eine Mutter, die der Tochter den Vater vorenthielt.
Etwas verschwindet – und wird zu Geld
Marias Geliebter Kuhl studiert Jura, wie es seine Eltern befohlen haben. Nachts schreibt er Gedichte, das Dichten ist seine Leidenschaft und für Kuhls Eltern etwas Unseriöses. So erfüllt sich die Zeile aus Apollinaires Gedicht. Etwas verschwindet – die Farbe in Kuhls Leben – und wird zu Geld. Nie wird Marias Brief an den Geliebten abgeschickt, der eines Tages aus ihrer Wohnung verschwunden ist. Eine Antwort erhält Maria erst nach Kuhls frühem Tod. Sie ist überraschend und grausam.
Maria ist schön und dunkelhaarig, eine von Zorn und Wut getriebene Frau, der das Leben die Geborgenheit einer schönen Kindheit verweigert hat. Aufgewachsen ist sie bei einer alleinerziehenden Mutter, die als Maßschneiderin ihr Auskommen verdient und die Ehemänner ihrer Kundinnen zu Liebesdiensten empfängt. Die neugierige Tochter, so deutet es Maria in der Rückblende, ist der Mutter im Weg.
Die Ausweglosigkeit des Lebenslaufs
Hanne Kulessa verfasst Marias Lebensbericht in Briefform aus der Perspektive einer fünfunddreißigjährigen Frau: "Ich sortiere die Vergangenheit." Sie lässt Maria einen rotzigen, harten, unnachgiebigen Ton anschlagen. Die Erzählerin erscheint als eine Frau, die sich ständig gegen ihre Umwelt abgrenzt und die Lieblosigkeit, die ihr widerfahren ist, weitergibt. Als Maria endlich eine solide Stelle in der Sparkasse hat und der Chef mit ihr zufrieden ist, verdirbt ihr Peer, der neue Freund, wieder alles.
"An Kuhl" ist eine große Anklage, eine psychologische Studie über die Verkettung und die Ausweglosigkeit des Lebenslaufs, des unbewussten Zwangs zur Wiederholung.
Hanne Kulessas Roman ist in einem atemlosen Furor geschrieben. Die Figuren werden ernst genommen, nichts wird beschönigt. Ein konsequent erzählter Bericht über lebensgeschichtliche Verquickungen und deren Folgen. Eine Anklage gegen Egoismus und Geldgier. Ein packendes Buch über unsere Zeit.

Hanne Kulessa: An Kuhl
Ch. Schroer Verlag, Bergisch Gladbach, 2014
168 Seiten, 17,99 Euro