Roman über reiche und arme reiche Leute

18.11.2009
Nelson DeMille ist bei uns bislang weitestgehend unbekannt geblieben. Dabei darf er sich mit seinem 860-Seiten-Epos "Das Vermächtnis" getrost einreihen bei Gesellschaftssatirikern wie F. Scott Fitzgerald. Gekonnt karikiert er hier den Gegensatz zwischen altem New Yorker Geldadel und dem zu Geld gekommenen Mafia-Nachwuchs und kombiniert dies mit einer Lovestory und einem Mord.
Juni 2002. John Gotti, der letzte, wirklich berühmte capo de tutti capi, der "Pate" der Cosa Nostra, stirbt im Gefängnis, die Diadochenkämpfe drohen auszubrechen.

Long Island. In diesem Juni kommt nach zehn Jahren Abwesenheit der Anwalt John Sutter zurück. Seine Ex-Gattin hatte damals einen Mafia-Granden, mit dem sie ein ehebrecherisches Verhältnis hatte, erschossen. Sutter und Susan, die für diesen Mord nie verurteilte reiche Erbin einer Plutokraten-Sippe, vertragen sich wieder. Eine glückliche Wiedervereinigung und abermalige Heirat wären durchaus möglich. Wenn nicht der Sohn des damals ermordeten Mafiosos Rache an der Mörderin seines Vaters nehmen müsste, um im Machtpoker der Gotti-Nachfolge gute Karten zu haben. Und wenn nicht die reichen Eltern von Susan Stanhope einen unüberwindlichen Widerwillen gegen ihren Schwiegersohn in spe hätten.

Das ist die grob vereinfachte Grundkonstellation eines 860 Seiten dicken Epos, dessen erzählte Handlungszeit nur knapp eine Woche umfasst: "Das Vermächtnis".

Nelson DeMille, ein bei uns sträflich unterschätzter amerikanischer Erzähler, bringt es fertig, dieses Mammut- und Breitleinwandformat elegant und extrem kurzweilig zu füllen. Er lässt sich Zeit mit seinen Figuren und seinen Familienszenen. Er beobachtet genau, wie das "alte Geld" tickt – die Stanhopes und die Sutters (die direkt von Walt Whitman abstammen) sind die fiktiven Ausgaben der Vanderbilts, der Morgans, der Woolworths und wie sie alle heißen mögen. Diese Familien stehen für die USA des großen Gelds, über die DeMille sagt: Alles mag sich ändern, aber diese Strukturen nicht.

Und da ist das "Neue Geld". Das Organisierte Verbrechen, das flüssig genug ist, um sich in diese exklusive Gegend für Abermillionen von Dollar einzukaufen. Und reiche Nabobs aus dem Orient, die allerdings die Sicherheitslage auf Long Island noch prekärer machen.

Sie alle seziert DeMille mit den Mitteln des klassischen Gesellschaftsromans à la F. Scott Fitzgerald, dessen "Der große Gatsby" nicht zufällig auch auf Long Island spielt. DeMille jedoch baut zusätzlich zu diesem sozialen Panorama meisterlich über die lange Distanz des Romans die Frage auf, ob, wann, wo und wie die Gewalt explodieren wird, die von den ersten Seiten des Buches an über der Szenerie dräut.

Ganz besonders glücklich aber ist der Umstand, dass DeMille grandiose Dialoge schreibt. Die Wortgefechte, mit denen sich die beiden Hauptfiguren, John Sutter und Susan Sutter, geborene Stanhope, beharken, die coole Bosheit von John Sutters Mundwerk, mit der er sich in der Kunst der maliziösen Beleidigung ergeht – dieser Wort- und Dialogwitz (schön übersetzt von Georg Schmidt) erinnert nicht nur an die mondäne Bosheit von Dorothy Parkers Bonmots, sondern bezieht sich direkt auf Nick & Nora Charles, das trinkfeste und eloquente Pärchen aus Dashiell Hammetts "The Thin Man" ("Der dünne Mann"). Denn wie bei Hammett gehen in DeMilles Roman Kriminalliteratur, Gesellschaftsroman, hochartifizielle Komödie und grimmige Ausblicke auf unschöne Realitäten prächtig zusammen.

"Das Vermächtnis" ist ein Roman, dessen analytische Schärfe, dessen Spott und satirische Kraft aus Figuren Menschen macht, deren Trachten und Treiben plausibel und nachvollziehbar sind. Ein Roman über reiche und arme reiche Leute. Und nebenbei ein sehr schöner Liebesroman mit Mord.

Besprochen von Thomas Wörtche

Nelson DeMille: Das Vermächtnis
Roman. Deutsch von Georg Schmidt
Hoffmann & Campe, Hamburg 2009
862 Seiten, 24 Euro