Roman

Supercop im Oval Office

Von Carsten Hueck · 08.01.2014
Der elfte Teil der Isaac-Sidel-Saga ist nun auf Deutsch erschienen. Darin lässt der produktive US-amerikanische Autor Jerome Charyn seinen Superpolizisten bis ins Zentrum der Macht vorstoßen.
Seit 1964 ist kaum ein Jahr vergangen, in dem nicht ein neuer Titel von Jerome Charyn erschienen ist. In den USA gilt er längst als einer der großen zeitgenössischen Autoren. Über 50 Bücher hat der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer mittlerweile geschrieben. Dabei hält er sich nicht an traditionelle Grenzen literarischer Genres. Sachbücher, Biografien und Comics sind dabei, Krimis, die sich wie Stadtführer lesen lassen, Romane, die wie stilisierte Autobiografien wirken. Fiction, Non-Fiction, moderne Mythen und eine Portion Wahnsinn verbindet Charyn erfolgreich zu einem für ihn typischen Stil - komplexe, auf psychologische Verfeinerung verzichtende Figurenzeichnung, kurvenreiche Erzählführung, überraschende Szenenwechsel und rasante Dialoge.
Protagonist des neuen Romans ist der Supercop Isaac Sidel, ein blonder Jude aus der Bronx. Mitte der 1970er-Jahre stellte ihn Charyn zum ersten Mal den Lesern vor. Der jetzt vorliegende Band ist der elfte der Isaac-Sidel-Saga. Im Laufe der Jahre hat sich Sidel vom Deputy Chief Inspector der New Yorker Polizei zu deren Präsidenten, dann zum Bürgermeister der Stadt und von dort zum Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten hochgearbeitet. Und obgleich – oder gerade weil - er ein Moralist mit Herz ist, pflastern Leichen seinen Weg. Ein Demokrat, der offen seine Selbstladepistole trägt. Sidel ist Kult, selbst Republikaner lieben ihn, "Citizen Sidel" wird er von der Bevölkerung genannt, auch "Big Guy".
Einer Verschwörung auf der Spur
Der Roman spielt im Jahr 1988. Der alte US-Präsident ist abgewählt, der neue, dessen Vize Sidel ist, noch nicht ins Amt eingeführt. Eine Übergangsphase, in der sich Strategen jeder Partei, des Militärs wie der Mafia, in Position bringen.
Sidel kommt einer Verschwörung auf die Spur, deren Ziel die Errichtung eines Militärstützpunktes in der Bronx ist. Profitieren wollen davon texanische Ölbarone und der designierte Präsident. Strippenzieher ist der unermesslich reiche jüdische Gangster David Pearl, ein pantoffeltragendes Fossil aus den legendären Tagen der Kosher Nostra. "Citizen Sidel" verliebt sich in die silberhaarige Geliebte des Gangsters, sein Versuch, den Ausverkauf der Bronx zu verhindern, wird so auch zum Eroberungskrieg: Er gewinnt nach blutigen Auseinandersetzungen und aberwitzigen Wendungen der Geschichte die Liebe der schönen Inez und nebenbei das Oval Office als neuen Arbeitsplatz. Doch die Frau seiner Träume muss er gleich wieder hergeben. Sidel wird sich also nicht zur Ruhe setzen, man kann getrost auf eine weitere Fortsetzung seiner Aktivitäten hoffen.
Charyn greift in seinem Roman auf die Kenntnis der New Yorker Stadtgeschichte und ihrer Mythen zurück. Ohne seine Leidenschaft für den Film noir sowie für Comics und deren Helden ist seine Literatur kaum vorstellbar. Dieser Krimi ist vor allem auch ein Stadtroman und eine Hommage an Bösewichter, die die Praktiken der NSA als ehrlos angesehen hätten, an Helden, die gut und böse, kalt und melancholisch und vor allem - nie langweilig sind.

Jerome Charyn: Unter dem Auge Gottes
Aus dem amerikanischen Englisch von Jürgen Bürger
Diaphanes Verlag, Zürich 2013,
285 Seiten, 16,95 Euro

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