Roman

Selbstfindung im Museum

Eine Frau schaut sich ein Bild aus der Ausstellung "Realismus - Das Abenteuer der Wirklichkeit" an.
Im Angelika Overaths Roman "Sie dreht sich um" reist eine betrogene Frau von einem Museum zum nächsten. © picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen
Von Manuela Reichart · 17.09.2014
Das kommt in den besten Ehen und in vielen Romanen vor: Er verliebt sich in eine Jüngere. Doch in dieser Geschichte reagiert die Betrogene ungewöhnlich. Ein mal heiterer, mal dramatischer Roman über die Folgen des Ehebruchs.
Es trifft sie aus heiterem Himmel: Sein Geständnis, er habe sie mit einer jüngeren Kollegin betrogen. Und die wünsche sich ein Kind von ihm. Die langjährige Ehefrau verlässt am Morgen danach das alte Münchner Reihenhaus "mit dem maßvoll verwilderten Obstgarten und der kleinen, im Sommer rosenumrankten Dachterrasse" , in dem sie mit ihrem Mann, einem klugen Oberstudienrat, zwei Kinder groß gezogen hat.
Sie packt ihre Tasche, nimmt das nächste Flugzeug nach Edinburgh, eine Stadt, die sie nicht kennt – und geht dort ins Museum. In der Fremde hat sie sich unter Bildern stets heimisch und sicher gefühlt.
Angelika Overath stellt dieser Geschichte einer fünfzigjährigen Frau, die nicht weiß, wie es und was überhaupt weitergeht, ein Motto von Tania Blixen voran:
"Aber es gab Augenblicke, in denen es ihm vorkam, dass die Welt weniger eine moralische denn eine mystische Angelegenheit sei."
Frauen auf den Gemälden drehen sich um und erzählen
Die Autorin erzählt also keine hinlänglich bekannte moralische Geschichte von Schuld und Verrat, von Irrtum und Kränkung, Verlassen und Verlassen-Werden. Es geht hier nicht um Läuterung oder Schuldzuweisungen, sie hat – wie es ganz am Ende einmal heißt – keine "Begabung zur Bitterkeit".
Vielleicht wird sie deswegen einer mystischen Offenbarung teilhaftig: Die Bilder sprechen zu ihr. Sie sitzt in Edinburgh in der National Gallery und schaut ein Ge¬mälde von Gauguin an, in Boston eines von Hopper, in Kopenhagen bestaunt sie die Arbeiten von Vilhelm Hammershøi. Und überall sprechen die Frauen - die man stets von hinten sieht - zu ihr, sie drehen sich herum und erzählen von ihrem Leben. Wie es war, als der Maler ins kleine bretonische Dorf kam etwa oder warum die Ehefrau von Edward Hopper, die selber Künstlerin war, nicht mehr malen konnte an seiner Seite.
"Bilder brauchen Ruhe"
Die verlassene Frau hört den Rückenfiguren zu und lernt nicht nur die Bilder und die Kunstgeschichte neu sehen, vor allem begreift sie, dass es manchmal hilfreich sein kann, still zu sitzen, zu warten und vor allem – nicht vorschnelle moralische Urteile zu fällen.
Die Literatur ist voll von Ehebruchgeschichten und daraus folgenden Lebensveränderungen, mal heiter, mal dramatisch grundiert, Angelika Overath wählt einen anderen (und sorgfältig instrumentierten) Selbstfindungsweg für ihre Heldin. Und rät uns außerdem nachdrücklich:
"Man muss mit den Bildern allein sein. Man muss sich vor den Audiogeräten hüten Die Bilder sind scheu, sie brauchen Ruhe."

Angelika Overath: Sie dreht sich um
Luchterhand Verlag, München 2014
280 Seiten, 19,99 Euro

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