Roman

Lateinamerikanische Lebenslügen

Von Carsten Hueck · 19.11.2014
Daniel Alarcóns Roman "Des Nachts gehn wir im Kreis" handelt von zwei Theaterleuten, die auf Tournee durch Lateinamerika gehen - mit dramatischem Ausgang. Die Liebesgeschichte und Sozialstudie des US-amerikanischen Schriftstellers mit peruanischen Wurzeln beschreibt gut 30 Jahre südamerikanischer Geschichte - und zieht in den Bann.
Als Dreijähriger kam der Autor Daniel Alarcón 1980 mit seinen Eltern aus Peru in die Vereinigten Staaten. Sie flohen vor wechselnden Militärdiktaturen, denen blutige Kämpfe zwischen der Guerillaorganisation "Leuchtender Pfad" und einem autokratischen, die politische Opposition unterdrückenden Regime folgten. Aus dieser für südamerikanische Staaten jener Zeit typischen Konstellation politischer Unruhe heraus entwickelt Daniel Alarcón seine Geschichte "Des Nachts gehen wir im Kreis" – ein existentielles Drama, zugleich ein Theaterroman, eine Liebesgeschichte und eine Sozialstudie.
Die Handlung beginnt in den 1980er-Jahren, führt zurück in die 70er und dann über die Jahrtausendwende hinaus. Gut 30 Jahre südamerikanischer Geschichte werden anhand einer Gruppe unterschiedlicher Figuren beschrieben. Vor allem zwei Lebensläufe verknüpft der Autor: den des gealterten Theatermachers Henry Núnez und den des jungen Schauspielers Nelson. Henry gehört zu den Veteranen des politischen Theaters. 15 Jahre zuvor war er unter dem Vorwand der "Aufwiegelung" ins Gefängnis geworfen worden. Inzwischen aber, die politischen Verhältnisse sind ruhiger geworden, lebt seine Truppe "Diciembre" nur mehr von ihrem alten Ruf.
Nelson ist Anfang 20. Er brennt für das Theater und träumt davon, einmal mit dem legendären Henry Núnez spielen zu dürfen. Der findet Gefallen an dem leidenschaftlichen jungen Hitzkopf. Aufreibende Proben beginnen, und bald brechen die beiden zu einer schlecht organisierten Tournee quer durch das Land auf. Sie spielen unter erbärmlichen Bedingungen, in Wirtshäusern, auf Marktplätzen, mitunter vor nur 20 Zuschauern.
Widerstreit zwischen Gemeinheit und Zärtlichkeit
Alarcón führt den Leser durch die Realität eines lateinamerikanischen Landes, in dem auch unter demokratischen Verhältnissen Bürgermeister korrupt, Gewalt und soziale Not allgegenwärtig sind. In T, einem Bergdorf, kommt es zu einer Art Showdown, die Männer spielen ein letztes Mal miteinander. Henry wird von den Schatten seiner Vergangenheit eingeholt, Nelson verlässt schließlich ohne Pass und Geld den abgeschiedenen Ort. Er bringt sich damit in große Gefahr. Und sein Leben verläuft ab jetzt ganz anders, als er es sich jemals hätte vorstellen können.
"Des Nachts gehn wir im Kreis" ist eine Geschichte von Lebenslügen, die nicht halten, von Selbsterkenntnis, die nicht hilft, von Träumen, die sich nicht erfüllen und von dem Widerstreit zwischen Gemeinheit und Zärtlichkeit. Daniel Alarcón erzählt sie aus der Perspektive eines Journalisten, der in T zufällig in den Besitz von Nelsons Tagebüchern gelangt. So wirkt der Roman wie das Ergebnis einer Recherche, er enthält fiktive Dokumente und Gespräche mit den Beteiligten. Es wird nicht chronologisch, mitunter abschweifend erzählt. Der Leser muss sich seinen eigenen Reim auf die Ereignisse machen und das Verhalten der Figuren bewerten. Alarcón konstruiert einen multiperspektivischen Erzählraum, in dem manches unerhellt bleibt. Gerade deswegen zieht er den Leser in seinen Bann.

Daniel Alarcón: Des Nachts gehn wir im Kreis
Aus dem Amerikanischen von Friederike Meltendorf
Wagenbach, Berlin 2014
346 Seiten, 22,90 Euro

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