Roman

Im Taxi durch bedrohliche Szenerien

Von Frank Meyer · 21.01.2014
Es sind abseitige Gestalten, die Fly mit seinem Taxi nächtens aufliest: Menschen in Tierkostümen, bizarre Zirkusfiguren. Rawi Hages Roman hat keine klare Handlung – aber eine seltene poetische Kraft.
Fly segelt durch die Nacht. Er liest mit seinem Taxi die seltsamsten Gestalten auf, besonders wenn Karneval ist in seiner namenlosen nordamerikanischen Stadt. Menschen in abseitigen Tierkostümen steigen dann bei ihm ein oder notgeile Männer oder lesbische Pärchen, die auf der Rückbank übereinander herfallen.
Eine getriebene und verwandelte Seite der alltäglichen Welt zeigt sich in Flys nächtlicher Zelle. Den Tag verschläft Fly zuhause in einer Höhle aus Büchern, zwischen schwankenden Büchertürmen, die zum Ärger der Nachbarn zuweilen krachend zu Boden stürzen. Fly lebt mit und in den Büchern, Gedichte zitiert er aus dem Stegreif oder fantasiert gleich drauflos. Seine hemmungslose Suada treibt den Roman an, rhythmisch und uferlos.
Gestalten aus Manege und Karneval
Fly ist eine typische Rawi-Hage-Figur. Seine beiden ersten Romane "Als ob es kein Morgen gäbe" und "Kakerlake" hatten ähnliche Helden: junge Männer, Immigranten und Außenseiter. Die Bücher folgen Rawi Hages Lebensweg, seiner Kindheit und Jugend im Beirut der Bürgerkriegszeit, seinen Exilstationen New York und Montreal.
Rawi Hage hat sich inzwischen in Kanada als Fotograf und Autor etabliert, schon für seinen Debütroman bekam er 2008 den weltweit höchstdotierten Preis für ein einzelnes Werk, den IMPAC Dublin Literary Award. Früher ist er aber, wie viele andere Immigranten auch, Taxi gefahren.
Rawi Hages Taxifahrer-Roman "Spinnen füttern" durchziehen Gestalten aus Manege und Karneval. Fly wird als Sohn einer Seiltänzerin und eines Zauberers geboren. Ihr Zirkus zieht durch Europa, Fly tritt dort als "hellsichtiges Kind" auf. Nachdem er seine Eltern verloren hat, kümmert sich eine andere Künstlerin um ihn, eine transsexuelle "bärtige Dame".
Sie geht mit Fly nach Amerika, als das Zirkusunternehmen zusammenbricht. Der Zirkus ist noch eine Gegenwelt merkwürdiger Wesen, von Riesen und Zwergen, eine Solidargemeinschaft der Andersartigen. Seine Fortsetzung im Karneval wuchert aus zu bedrohlichen nächtlichen Szenerien, in denen es höchst aggressiv zugeht, sexistisch und gewaltsam. In der Entgrenzung zeigt sich, was die Gesellschaft im Untergrund antreibt.
Sprühender, dunkler Witz, aber kein äußerer Bogen
"Spinnen füttern" ist kein traditioneller Roman mit einer geschlossenen Handlung, sondern eine Sammlung irrlichternder, intensiver Bilder. Einige Linien ziehen sich gleichwohl durch das ganze Buch, zum Beispiel Flys Werben um seine Nachbarin Zainab. Der Atheist Fly bringt seine ganze beeindruckende Überredungskunst auf, um die muslimische Studentin Zainab von der Fragwürdigkeit der Religion und den Vorzügen sinnlicher Hingabe zu überzeugen.
Vergeblich natürlich, doch für den Leser sind diese von literarischen Anspielungen durchsetzten Werbungsrituale ein großer Spaß. Überhaupt besticht der Roman durch sprühenden, dunklen Witz. Dem Buch fehlt zwar ein zwingender äußerer Bogen, ein Thema, das die Bilder dramaturgisch sinnvoll aufeinander folgen lassen würde. Aber auch dieser ungestüme und maßlos fantasievolle Roman von Rawi Hage besitzt eine seltene poetische Kraft.
Rawi Hage: "Spinnen füttern"
Aus dem Englischen von Gregor Hens
Piper Verlag, München 2013
370 Seiten, 22,99 Euro
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