Roman

Hinterlistige Gebrauchsanweisung fürs Leben

Ein Planeten-Radlager
Wie ein Zahnrad in der Maschine tut jeder sein Übriges für die Gesellschaft. © picture alliance / dpa
Von Carsten Hueck · 28.04.2014
Der Portugiese Gonçalo M. Tavares ist Philosoph und Schriftsteller, in seinen Büchern geht es um die die existenziellen Fragen des Lebens. Sein "Joseph Walser" verliert einen Finger - und muss sich neu zurechtfinden in einer völlig durchrationalisierten Welt.
"Er war ein seltsamer Mensch."
So stellt der in Angola geborene, portugiesische Schriftsteller Goncalo M. Tavares die Hauptfigur seines neuen Romans vor: Joseph Walser heißt er und schon dieser Name setzt Assoziationen frei, mit denen Tavares, Professor für Philosophie und Autor von mehr als 30 Büchern unterschiedlicher literarischer Genres, absichtsvoll spielt.
Wie Kafkas Josef K. und Figuren in den Romanen des Schweizer Autors Robert Walser bewegt sich auch Tavares' Joseph Walser durch eine realistische Welt, die immer stärker, subtil und wuchtig zugleich, Züge eines unbegreiflichen Monstrums annimmt. Seltsam erscheint der alterslose, rational nüchterne Joseph Walser durch seine schlampige Kleidung,die Vorliebe für altmodische braune Schuhe und das Sammeln kleiner Metallstückchen. Ansonsten führe er ein "diszipliniertes" Leben, so heißt es – eintönig wäre der passendere Begriff.
Gefühl des Kontrolliertwerdens und der Beklemmung
Verheiratet und kinderlos trifft er sich jeden Samstagabend mit Kollegen zum Würfelspiel. Die Wochentage verbringt er in einer Fabrik, wo er eine Maschine bedient. Was sie produziert, wird nicht gesagt. Ein allwissender Erzähler führt durch den Roman. Sein Ton ist nur scheinbar sachlich.Tatsächlich scheint der Protokollant allein das Geschehen zu durchschauen und daraus seine Schlüsse zu ziehen. Das erzeugt ein beständiges Gefühl des Kontrolliertwerdens und der Beklemmung. Zwar streut Tavares immer wieder auch Passagen direkter Rede ein, doch Dialoge entstehen dabei nur kurz; vor allem halten die Protagonisten Ansprachen, überlegen laut, resümieren, aber kommunizieren nicht.
Als ein Krieg ausbricht, die namenlose Stadt, in der Walser lebt, von fremden Soldaten besetzt wird, geraten die Einzelteile seiner Welt durcheinander. Einen Moment lang unkonzentriert, wird er durch die Maschine von seinem Zeigefinger getrennt. Infolge dieses Arbeitsunfalls mit Büroarbeiten betraut, fühlt er sich aus der Welt der Maschinen vertrieben, als Rädchen, das nichts mehr zu greifen hat.
"Das Fehlen seiner Maschine entsprach dem Fehlen seines Fingers."
Kalte Logik
Goncalo M. Tavares, vielfach mit Preisen ausgezeichnet und vom Literaturnobelpreisträger José Saramago als dessen würdiger Nachfolger annonciert, hat einen philosophischen, mit existenziellen Einsichten gespickten Roman verfasst, eine hinterlistige Gebrauchsanweisung für ein gelingendes Leben. Er beschreibt eine bis ins letzte durchrationalisierte Welt. Es herrscht die kalte Logik. Die Figuren in dieser Welt handeln begründet und eigenverantwortlich, doch wirkt keine von ihnen frei. Im Gegenteil: Ihre Existenz gestaltet sich in solch klaustrophober Atmosphäre, dass bereits ein Paar brauner Schuhe Irritationen und ein Würfelspiel das Gefühl der Freiheit hervorruft.
Nie waren Menschen Maschinen ähnlicher als in diesem Roman.

Goncalo M. Tavares: "Joseph Walsers Maschine"
Aus dem Portugiesischen von Marianne Gareis
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014
170 Seiten, 19,99 Euro

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