Roman einer Desillusionierung

Rezensiert von Tilman Krause · 13.04.2006
Der 28-jährige Elias erlebt Enttäuschung auf Enttäuschung, sein Leben liegt in Scherben. Dafür hat er aber einige Erkenntnisse über sich selbst und die Scheinwelt, in der er lebte, gewonnen. Der 30-jährige Autor Martin Page ist mit diesem Roman einer Desillusionierung in Frankreich sehr erfolgreich. Er wirkt wie ein Sprecher derjenigen, die dort gerade gegen die Aufhebung des Kündigungsschutzes demonstrieren.
"Um es kurz zusammenzufassen", sagte Elias leichthin, "meine Freundin hat mich vor ein paar Tagen verlassen, nachdem sie mich ein halbes Jahr betrogen hat. Ein Freund hat mir das Gesicht demoliert, ein anderer hat mich daraufhin in die Pfanne gehauen, während seine Frau versucht hat, mit mir zu schlafen. Ich habe aufgehört zu rauchen, und ich müsste aufhören zu trinken. Ich will nicht behaupten, dass ich Alkoholiker bin, aber ich trinke zuviel. Mit einem Wort: Das ist wirklich keine gute Woche für mich."

Das ist natürlich charmant untertrieben. Elias, 28 Jahre jung und eben noch mit einem wichtigen Preis ausgezeichnet für seine jüngste Filmproduktion, erlebt Enttäuschung auf Enttäuschung. Am Schluss des kleinen Romans von Martin Page liegt sein Leben in Scherben.

Doch wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Und das besteht in der Selbstinventur. Was will ich wirklich, fragt sich besagter Elias auf einmal - und offenbar zum ersten Mal.

Von ihm, der es bisher immer nur anderen recht machen wollte, sagt am Ende des Buches der Erzähler:

"Er hatte genug davon, ein Meeresbiologe zu sein, der nicht schwimmen kann, oder ein Önologe, der keinen Wein trinkt. Die perfekte Kenntnis des Lebens aus zweiter Hand genügte ihm nicht mehr, er wollte selbst leben."

Also kündigt Elias seinen Job bei der großen Produktionsfirma, auch die eine oder andere Freundschaft und nimmt überhaupt innerlich und äußerlich Abschied von jener Glamourwelt des Films, in der er sich Jahre lang geschmeidig bewegt hat.

Martin Page erzählt uns von der Welt des schönen Scheins, die so schnell schal wird. In genauer Kenntnis eines Milieus, das heute so viele Menschen fasziniert, in genauer Kenntnis auch von Paris, wo seine Protagonisten (natürlich bevorzugt an den derzeit angesagten Ecken) leben, schreibt er den Roman einer Desillusionierung. Die vollzieht sich in spektakulären Aktionen, aber auch durch die Selbstreflexion seines Helden Elias, der irgendwann zu dem Schluss kommt:

"Wir kommen schon irgendwie zurecht in dieser Welt. Wir müssen nur versuchen, die glücklich zu machen, die wir lieben, und es zulassen, wenn auch sie uns glücklich machen wollen."

Das klingt vielleicht als Fazit etwas altklug, aber dies ist das Lesefutter, was die jungen Leute, die gegenwärtig in Paris gegen Aufhebung des Kündigungsschutzes und also für den Erhalt des Status Quo kämpfen, sich einverleiben. In Frankreich ist nämlich der 30-jährige Martin Page sehr erfolgreich. Er scheint der Sprecher einer Generation, der "génération précaire", die früh resigniert hat, weil sie früh resignieren muss.


Martin Page: An Weltuntergänge gewöhnt man sich
Aus dem Französischen von Marcus Seibert.
Wagenbach, Berlin 2006.
250 S., 19,50 €.