Roman

Die Macht der Versuchung

Foto von der Medienprobe am 26.2.2003. Das Schauspiel von Klaus Mann hat am 28. Februar 2003 in der Schweriner Fassung von Birgit Funke am Mecklenburgischen Staatstheater Premiere. Regie führt Michael Funke, das Bühnenbild stammt von Martin Fischer.
Der Roman zeigt deutliche Parallelen zu Klaus Manns "Mephisto" - Jörg Zirnstein in der Hauptrolle des Schauspielers Hendrik Höfgen. © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Von Wolfgang Schneider · 25.04.2014
Schauplatz des Romans ist die Berliner Theaterwelt der 1930er-Jahre. Ein niederländischer Schauspieler, ein Jude, will mitten in Hitler-Deutschland auf die große Bühne. Hans Croiset hat ein Lehrstück geschrieben über die Macht der Versuchung.
Deutschland 1935. Der junge niederländische Schauspieler Moritz Akkerman, der sehr gut Deutsch spricht, reist nach Berlin, um Synchronisationsarbeiten an einem holländischen Film zu übernehmen. Als Jude begibt er sich in die Höhle des Löwen – aber seine junge Familie (gerade wurde ein Sohn geboren) kann ein paar zusätzliche Reichsmark gut gebrauchen. Und dann soll es in Berlin so stabile und günstige Kinderwagen geben.
Kaum dort angekommen, schmelzen Akkermans Vorbehalte gegen Hitler-Deutschland dahin. Die schillernde Filmdiva Ilyane – Geliebte von Gustav Gründgens mit Beziehungen in die NS-Elite um Minister Goebbels – entbrennt für den attraktiven Holländer, der wie ein Ideal-Arier aussieht. In einer komischen Caféhaus-Szene stürzen sich zwei Hobby-Rasseforscher auf ihn, um seine Schädelmerkmale zu preisen. Moritz Akkerman trifft in Berlin interessante Menschen des Theatermilieus, die an der Nahtstelle von Kollaboration und Widerstand arbeiten, und wird auch dort hofiert: Gerade plant das Gründgens-Theater die Aufführung des klassischen niederländischen Dramas "Luzifer" von Jost van Vondel, und weil die Probearbeit stagniert, soll er als Berater der Regie mitwirken. Anerkennung, Geld, Flugreisen – etwas Märchenhaftes.
Hans Croiset, Jahrgang 1935, ist in den Niederlanden ein renommierter Regisseur und Schauspieler. Das hat Vor- und Nachteile für den Roman. Einerseits profitiert er von der Kenntnis des Theater-Milieus; das eigenartige Biotop um den Intendanten und Schauspielstar Gründgens wird eindringlich vergegenwärtigt. Reales Vorbild für Ilyane ist Marianne Hoppe, die Gründgens heiraten soll, um den Gerüchten über dessen Homosexualität entgegenzuwirken. Hinter der Figur des Moritz Akkerman steht der Vater des Autors, Max Croiset, der an dem (von Goebbels gepriesenen) niederländischen Dokumentarfilm "Totes Wasser" über die Zuiderzee (1934) beteiligt war, um dessen Synchronisation es zu Anfang geht: Alles sehr verbürgt und authentisch also. Andererseits sind die Kapitel über das "Luzifer"-Projekt mit ihren Diskussionen über Aufführungsdetails und die politische Brisanz des Stückes zu detailreich geraten; auch die Motivparallelen zu Klaus Manns "Mephisto" sind überdeutlich.
Dokumentation der Theaterszene des Dritten Reichs
Reizvoll die atmosphärischen Schilderungen Berlins, einer Stadt in Aufbruchstimmung. Die Olympischen Spiele stehen bevor, überall wird gebaut, der anfangs von vielen noch skeptisch beäugte Nationalsozialismus hat sich etabliert: "Der Mann mit dem Chaplin-Bärtchen hat seinem Volk Arbeit verschafft, und in den Niederlanden müssen die Arbeitslosen zweimal am Tag für Essensmarken anstehen."
Dagegen stehen die Erfahrungen der Angst, Ausgrenzung und Verfolgung. Ilyane versteckt einen jüdischen Intellektuellen in ihrer Wohnung und Moritz wird Zeuge, wie ein älterer jüdischer Herr auf der Straße schikaniert wird. Er geht dazwischen, indem er sich mit Schauspieltalent und seinem "arischem" Erscheinungsbild Autorität verschafft. Auch im Theater spielt er auf Risiko. Seine verheimlichte jüdische Identität und der Versuch, im "Luzifer"-Stück subversive Zeitkritik einzuarbeiten, geben ihm das Gefühl eines "Trojanischen Pferdes im faschistischen Theaterheiligtum". Bei der Generalprobe aber kommt es zum Eklat. Das Stück wird abgesetzt und Gründgens vorgeladen. Das Doppel-Spiel des Moritz Akkerman droht aufzufliegen. "Maskenball unter den Linden" ist kein großes Werk, aber ein interessanter Dokumentarroman über die Theaterszene im "Dritten Reich". Und ein Lehrstück über Macht und Versuchung, beziehungsweise: die Macht der Versuchung.

Hans Croiset: "Maskenball unter den Linden"
Schöffling & Co
364 Seiten, 22,95 Euro