Roman

Die Kluft zwischen den Generationen

Altes Buch mit vergilbten Seiten und angestoßenen Kanten am Buchdeckel, aufgenommen am 2.4.2012. Foto: Jens Kalaene dpa/lbn
Authentische Redeweisen und kriminalistische Spannungsbögen: der dritte Roman von Larissa Boehning © dpa / Jens Kalaene
Von Verena Auffermann · 21.02.2014
Eine Witwe vom Land entwickelt Muttergefühle für einen gescheiterten Versicherungsvertreter. Doch der schielt bloß auf ihr Geld. Larissa Boehnings Roman handelt von Sehnsüchten und dem, was die Generationen trennt.
"Nichts davon stimmt aber alles ist wahr", Larissa Boenings dritter Roman, handelt von der Kluft zwischen der alten und der neuen Welt. Zwischen dem Landleben mit Gaststube und Blutsuppe und dem heutigen, von der Werbeindustrie manipulierten Dasein. Früher waren Gefühle gottgewollt, heute bestimmt das Liebesleben der Algorithmus einer Partnerbörse.
Die Romanhandlung beginnt mit einem Trick. Juliane, eine erfolgreiche Werbefachfrau, nimmt eine streunende Katze bei sich auf. Als Matthias, ein Nachbar, klingelt und sie fragt, ob seine Katze zufällig bei ihr sei, lügt Juliane. Aus dieser Lüge entwickelt sich eine Affäre. Matthias gehört die Katze allerdings auch nicht, sondern einem weiteren Hausbewohner. Juliane und Matthias lachen über ihre Lügen. Als Matthias seinen Job als Versicherungsagent verliert, meldet er sich nicht mehr bei ihr.
Leben in einem museal düsteren Haus
Diese Anfangslüge ist für den psychologischen Aufbau des Romans entscheidend. Larissa Boehning, das haben ihre früheren Romane "Lichte Stoffe" (2007) und "Glück der Zikaden" (2011) gezeigt, ist interessiert an der Verbindung von Vergangenheit und Charakter, also an psychoanalytischen Grundmustern.
Zwei Charaktere stehen nach der Anfangsepisode im Mittelpunkt, der von Matthias und der von Annemarie Funk, einer vom Land stammenden Witwe, deren Vermögen für den gewieften Versicherungsagenten Matthias die Rettung aus seinem aus der Bahn geratenem Leben zu sein scheint. Also schleicht er sich an, und die Strategie scheint aufzugehen: Annemarie entwickelt dem jungen Mann gegenüber Muttergefühle.
Geschickter Wechsel zwischen den Redeweisen
Larissa Boehning beleuchtet Annemaries voll Sentimentalität aus Erinnerungsstücken vollgestopftes, museal düsteres Haus, in dem sich Matthias in einen makellosen "Sohn" verwandelt. Annemarie wird zur Erzählerin ihrer Herkunft, und die Autorin hilft ihrer Hauptperson, durch die heilende Kraft der Erinnerung ihre fortgeschrittene Krebskrankheit zu verdrängen. Annemarie flieht, umsorgt von Matthias in ihre Kindheit. Durch seine Nähe fühlt sie sich verjüngt, kocht bäuerliche Leibspeisen, schenkt ihm, wenn auch zögernd, ihr Vertrauen. Matthias nimmt alles auf sich und wartet wie eine Hyäne auf den richtigen Augenblick für die Unterzeichnung einer Schenkungsurkunde. Larissa Boehning setzt Juliane als Beobachterin ein, die, halb eifersüchtige Exgeliebte, halb Beschützerin, immer zur Stelle ist. Verhindern kann sie nichts, aber Mitwisserin wird sie sein.
Geschickt wechselt die Autorin zwischen den Redeweisen, der altmodischen Gefühlsverfangenheit der alten Frau und dem glatten Jargon von Matthias. Wie eine Katze belauert Juliane die beiden. Mit ein paar kriminalistischen Spannungsbögen ausgeschmückt, scheint die Sache ganz im Sinne von Matthias Plänen aufzugehen. Und zum Ausgleich heißt es fatalistisch bei Larissa Boehning: "Wo nichts stimmt, aber dennoch alles wahr ist." Ein Roman über Sehnsüchte und die Trennwand zwischen den Generationen. Der Wahrheitsgehalt in Larissa Boehnings romanhafter Analyse ist größer als es dem Leser angenehm sein mag.
Larissa Boehning: Nichts davon stimmt aber alles ist wahr
Galiani Verlag, Berlin 2014
316 Seiten, 19,99 Euro
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