Freitag, 29. März 2024

Archiv

Fußball-WM in Russland
Politisches Tauwetter im Zeichen des Sports?

Am Donnerstag wird die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland angepfiffen. Viele westliche Staaten haben wegen der Annexion der Krim Sanktionen gegen Russland verhängt, darunter etliche, deren Nationalmannschaften bei der WM mitspielen. Wird sich das Verhältnis zu Russland durch das Turnier entspannen?

Von Gesine Dornblüth | 13.06.2018
    Putin (re.) hält eine goldene Trophäe, Infantino kommt von links auf ihn zu. Vor der Bühne stehen Zuschauer.
    FIFA-Präsident Gianni Infantino und Russlands Präsident Putin mit der Trophäe für die Fußball-WM 2018 (AFP/Mladen ANTONOV)
    Eine Woche vor dem Anpfiff der FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2018™ in Russland. Staatspräsident Wladimir Putin hält seine jährliche Fernsehsprechstunde ab, den "direkten Draht". Es ist eine mehrstündige Inszenierung, bei der die Bürger zuvor abgesprochene Fragen stellen dürfen. Als erstes wird in diesem Jahr Walerij Gassajew zugeschaltet, ein bekannter russischer Fußballtrainer und Duma-Abgeordneter.
    "Unsere gesamte Fußballgemeinschaft versteht gut, Wladimir Wladimirowitsch, wie beschäftigt Sie derzeit sind, und wie schwierig die internationale politische Lage ist. Deshalb haben wir eine Bitte: Dass Sie persönlich dem Fußball weiterhin Aufmerksamkeit schenken. Sie sind im Geiste ein Sieger. Ich danke Ihnen, dass wir die Weltmeisterschaft feiern und ausrichten werden."
    Der Moderator hakt nach: Welche Frage Gassajew habe?
    "Ich möchte Ihnen, Wladimir Wladimirowitsch, gute Gesundheit wünschen."
    Überall auf der Welt versuchen Politiker, vom Sport, vom Glanz der Siege, von der hohen Emotionalität des Fußballs zu profitieren. Das ist auch in Russland so, erläutert der Politologe Andrej Kolesnikow vom Carnegie-Zentrum, einer Denkfabrik in Moskau. Zwar seien von der russischen Fußballmannschaft keine sportlichen Siege zu erwarten, doch wenn die Weltmeisterschaft reibungslos ablaufe, könne Russlands Präsident allein schon das innenpolitisch für sich nutzen, meint Kolesnikow.
    "Es geht darum, die Menschen zu noch mehr Stolz zu erziehen. Sie sollen Stolz sein darauf, wie gut wir alles organisieren können. Es wird heißen, dass der Westen verkennt, wie toll wir wirklich sind, dass wir besser sind als alle anderen und dass es so etwas noch nie gegeben hat."
    Annexion der Krim und darauffolgende Sanktionen
    Für Russlands Führung ist das wichtig. Der Kreml setzt auf die Einheit des Volkes. In Moskau heißt es, das angeblich feindliche westliche Ausland wolle Russland klein halten. Viele westliche Staaten haben Sanktionen gegen Russland verhängt, darunter etliche - auch Deutschland -, deren Nationalmannschaften bei der WM mitspielen. Die Sanktionen haben konkrete Gründe: 2014 hat Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert und Krieg in die Ostukraine gebracht.
    Frank Steffel sitzt für die CDU im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Für ihn steht fest:
    "Die Fußball Weltmeisterschaft in Russland ist sicherlich ein extremer Fall, da Russland eben auch mit großer Aggression in der Ukraine, in Syrien, in anderen Teilen der Welt in den letzten Monaten und Jahren agiert."
    Steffel ist zudem Berichterstatter für die Ukraine im Auswärtigen Ausschuss. Vor drei Wochen erst besuchte er die sogenannte Kontaktlinie zwischen dem von der Regierung in Kiew kontrollierten und dem Separatistengebiet. Dort wird weiterhin geschossen. Die OSZE-Beobachter zählen Tag um Tag hunderte von Schüssen und Explosionen. Weiterhin sterben auch Zivilisten.
    "Die humanitäre Situation ist furchtbar. Weil man sich auch gar nicht vorstellen kann, dass es in absehbarer Zeit eine Lösung gibt."
    Für Steffel kommt ein Besuch der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland deshalb nicht in Frage. Einige seiner Kollegen sehen das anders. Letzte Woche reiste die Fußballmannschaft des Deutschen Bundestages zu einem Freundschaftsspiel mit Duma-Abgeordneten nach Moskau. Angeführt wurde die Gruppe von Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann, SPD. Die deutschen Parlamentarier trafen auf dem Rasen unter anderem auf Michail Degtjarjow von der rechtspopulistischen LDPR. Die EU hat Sanktionen gegen ihn verhängt, weil er die Eröffnung einer Vertretung der sogenannten "Donezker Volksrepublik" in Moskau unterstützte. Degtjarjow spielte im Trikot mit der Nummer 88.
    "Ich liebe Deutschland sehr, das Land und das Volk. Die EU hat mir die Möglichkeit genommen, mit meinen Freunden in Deutschland zu kommunizieren. Wir freuen uns über jeden Besuch europäischer Kollegen in Moskau, allein, um die Verbindung zu halten."
    FIFA-Präsident Gianni Infantino und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen im Vorfeld der Fußball-WM in Sotschi.
    FIFA-Präsident Gianni Infantino und Russlands Präsident Wladimir Putin bei einem Treffen im Vorfeld der Fußball-WM in Sotschi. (imago / Tass)
    Mit Blick auf die WM sagt Degtjarow:
    "Jeder, der nach Russland kommt, der die Schönheit des Fußballs sieht, unsere Menschen und die Architektur unserer Städte kennenlernt, wird hier eine Impfung gegen Russophobie erhalten, hundertprozentig. Und er wird wiederkommen wollen."
    Als "Russophobie" - als krankhafte, rational unbegründete Angst vor dem Land also - tut Russlands Führung derzeit unisono jede Kritik an ihrer aggressiven Politik ab, sei sie auch noch so gut begründet.
    Die Bundestagsmannschaft unterlag bei dem Spiel mit 3:5. Oppermann nannte die Begegnung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen "Beitrag zur Entspannung". Er sprach aber auch von "erheblichen Differenzen", die im Gespräch mit dem Duma-Vorsitzenden deutlich geworden seien. Auf der Homepage des russischen Parlaments ist das Spiel am Tag darauf der Aufmacher. In der Überschrift wird der Vizepräsident des Bundestages wie folgt zitiert:
    "Ich werde mich freuen, wenn unsere Parlamente ständig zusammenarbeiten."
    "Eine Demonstration von Soft Power"
    Es sind genau solche Veranstaltungen, mit deren Hilfe Russlands Führung versuche, das Bild des Landes während der Weltmeisterschaft international aufzupolieren, meint der Politologe Andrej Kolesnikow vom Carnegie-Zentrum in Moskau:
    "Das ist natürlich eine Demonstration von Soft Power. Russland tritt nicht in seiner gewöhnlichen Härte auf, als das Land, das sich überall einmischt und Gift versprüht. Die WM ist vielmehr eine Möglichkeit, das Bild Russlands wenigstens ein bisschen zu entgiften. Ich denke, Putin setzt sehr große Hoffnung darauf."
    Sportliche Großereignisse sind für jedes Gastland eine Chance, vor der Welt zu glänzen - ganz egal, ob es sich nun um eine Demokratie oder ein autoritär regiertes Land handelt. Auch Deutschland hat das genutzt, bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Auf einmal galten die Deutschen nicht mehr als humorfreie Nazis, sondern als feierfreudige, lockere Gastgeber.
    Christian Klaue ist Direktor für Kommunikation beim Deutschen Olympischen Sportbund, DOSB. Er hält fest:
    "Wenn ein Land ein Sportevent ausrichtet, dann möchte ein Land diese Spiele natürlich auch nutzen, um sich selbst darzustellen. Das ist erst mal, denk ich, ein völlig legitimes Ziel. Und dann ist halt immer die Frage, wie viel Instrumentalisierung lässt man zu, und wie viel lässt man nicht zu."
    Bei den Sportverbänden dominiert die Auffassung, Sport baue Brücken, bringe Menschen zusammen, stifte Frieden. Mit diesen Argumenten hofierte IOC-Präsident Thomas Bach auch Wladimir Putin. Während der Olympischen Winterspiele in Sotschi brachte ihm das viel Kritik ein. DOSB-Sprecher Klaue hat bis vor wenigen Monaten für das IOC gearbeitet. Er bezeichnet den Sport als eine "riesige Kommunikationsplattform".
    "Und auf dieser Kommunikationsplattform haben Sie natürlich die Möglichkeit, Menschen zusammenzubringen und über Themen zu sprechen. Und das geschieht regelmäßig beim Sport. Das hat man jetzt bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang gesehen."

    Pyeongchang: Die Winterspiele in Südkorea in diesem Jahr sorgten für eine überraschende Annäherung mit dem international geächteten Nordkorea. Und das, nachdem es in den Wochen vor den Spielen nach einer gefährlichen Eskalation ausgesehen hatte. Doch auf einmal willigte Nordkorea ein, eigene Sportler nach Pyeongchang zu schicken. Das Internationale Olympische Komitee habe lange darauf hingearbeitet, sagt Christian Klaue. Er war damals noch Sprecher des IOC.
    "Das IOC hat die Athletinnen und Athleten aus Nordkorea über viele Jahre unterstützt in ihrer Vorbereitung auf diese Olympischen Spiele, weil Wintersport ist jetzt auch nicht so groß in Nordkorea. Und es gab auf dem Weg bis zu den Spielen eine Reihe von Begegnungen mit nordkoreanischen Offiziellen auf unterschiedlichste Art und Weise bei den Olympischen Spielen in Rio, auf verschiedenen Ebenen auch politisch wie auch vor allem über das NOK."
    Cheerleader aus Nordkorea jubeln auf der Tribüne bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang / Südkorea.
    Cheerleader aus Nordkorea jubeln auf der Tribüne bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang / Südkorea. (dpa-Bildfunk / Christophe Bott / Keystone)
    Grundlage für die politische Annäherung
    Das IOC ließ in Pyeongchang Sportler aus Nordkorea zu, die sich nicht qualifiziert hatten. Unerwartet besuchte die Schwester des Diktators die Spiele. Kurz darauf verkündete Kim Jong Un ein vorläufiges Ende der Raketen- und Atomtests. Wenige Wochen später folgte ein Treffen der beiden koreanischen Staatsführer.
    Die Olympischen Spiele hätten die Grundlage für die politische Annäherung gelegt, so DOSB-Sprecher Klaue. Anfang dieser Woche gab es das lange undenkbare Treffen zwischen Kim Jong Un und Donald Trump.
    Gunter Gebauer ist Sportwissenschaftler und Philosoph. Er sieht es nüchterner: Nicht der Sport habe die beiden nordkoreanischen Herrscher zusammengebracht; nein, Kim Jong Un habe die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für die Olympischen Spiele benutzt, um von seiner extremen Position herunterzukommen.
    "Das war sozusagen eine Chance für ihn auch, die er sehr klug aus seiner Perspektive genutzt hat, um den amerikanischen Präsidenten und den Präsidenten von Südkorea sozusagen auf eine schiefe Ebene zu führen, die sie jetzt praktisch mal im Bilde gesprochen in seine Richtung haben rutschen lassen."
    Gebauer lobt die Rolle des IOC in Sachen Nordkorea, doch an eine friedensstiftende Rolle des Sports glaubt er nicht.
    Als ein historischer Beleg dafür, dass Fußball Brücken bauen kann, wird häufig auf das Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und der Sowjetunion in Moskau 1955 verwiesen. Damals gab es nicht einmal diplomatische Beziehungen zwischen Bonn und Moskau. Einige Wochen später reiste Bundeskanzler Konrad Adenauer zu Verhandlungen in die Sowjetunion. Er bewirkte, dass die letzten deutschen Kriegsgefangenen - knapp 10.000 Menschen - aus der Sowjetunion freikamen.

    Die Verständigung hat allerdings ihre Grenzen, auch das hat die Geschichte gezeigt. 2008 und 2009 stießen die beiden verfeindeten Staaten Armenien und Türkei bei der Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika aufeinander. Die Präsidenten beider Länder luden einander ein und sahen sich die Spiele gemeinsam an. Schon wurde von Tauwetter gesprochen. Die Annäherung scheiterte an verschiedenen Lobbygruppen. Die Grenze zwischen der Türkei und Armenien ist heute noch geschlossen. Christian Klaue vom DOSB räumt ein:
    "Ganz klar ist eins: Der Sport kann weder innen- noch außenpolitische Konflikte in der Welt lösen. Dazu ist er nicht in der Lage. Und damit würde man ihn auch komplett überfordern."
    Aber der Sport liefere wichtige Gesten und Symbole.
    "Sie erinnern sich 2008 vielleicht an Peking, da gab es eine russische Schützin, die eine Silbermedaille gewann, und eine georgische Schützin, die hatte Bronze gewonnen. Und kurz vorher war eben die Auseinandersetzung dort gestartet. Und auf dem Siegerpodest haben die sich umarmt und geküsst. Und die Schlagzeilen waren dann eben "Küsse statt Schüsse". Jetzt können Sie sagen, ja, das ist alles nur Symbolik. Aber aus meiner Sicht ist es sehr wichtige Symbolik, weil die eben auch hilft zu zeigen, dass die Menschen möglicherweise anders denken als ihre Politiker. Und damit hilft das auch bei der Konfliktlösung."
    Szene aus einem WM-Qualifikationsspiel, Türkei - Armenien
    Türkei gegen Armenien: Während des Qualifikationsspiels für die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika 2010 wurde schon von politischem Tauwetter gesprochen. (EPA / dpa)
    Sportliche Großereignisse, unveränderte Politik
    Ähnliches geschah 2018 in Pyeongchang: Olexander Abramenko, Goldmedaillengewinner im Freestyle der Skifahrer aus der Ukraine, und der Drittplatzierte, Ilja Burow aus Russland, umarmten einander und wickelten sich gemeinsam in eine ukrainische Fahne. Die Kämpfe im Donbass gingen allerdings weiter.
    Andrej Kolesnikow vom Carnegie-Zentrum glaubt auch nicht, dass sportliche Großereignisse Staaten dazu bringen, ihre Politik zu ändern - nicht mal die Gastländer.
    "Erinnern wir uns an die Olympischen Spiele 1980 in Moskau. Die Sowjetunion hatte damals Truppen in Afghanistan. Und sie hat ihre Afghanistan-Politik nicht verändert. Oder haben die Olympischen Spiele im faschistischen Deutschland zur Befriedung des Hitler-Regimes beigetragen? Nein. Hitler hatte ein Interesse, diese Olympischen Spiele durchzuführen, und sich ein weiches und friedliebendes Gesicht zu geben. Aber er hat die Weiterentwicklung und Verhärtung des Systems für keine Sekunde gestoppt."
    Der Sportwissenschaftler und Philosoph Gunter Gebauer ergänzt:
    "Bei den Olympischen Spielen '36 hat Hitler durchaus den Befehl gegeben zum Eingreifen in den spanischen Bürgerkrieg. Und hat sich täglich berichten lassen, bevor er sich ins Stadion gesetzt hat. Also da ist Deutschland vorbelastet in diesen Dingen."
    Dennoch behaupten Sportfunktionäre gern, der Sport könne dafür sorgen, dass sich autoritär regierte Staaten öffnen. Gebauer glaubt auch das nicht. Er erinnert an die Olympischen Sommerspiele 2008 in China.

    "Es gab im Vorfeld sehr viele Versprechungen, und ich glaube auch, dass das IOC in der besten Absicht nach Peking gefahren ist, dort einen politischen Wandel mitzuerleben beziehungsweise sogar zu initiieren. Ich war in einem Gespräch vorher in der Öffentlichkeit bei der Verabschiedung der Olympiamannschaft mit Thomas Bach. Und Thomas Bach hat auf meine sehr skeptischen Anmerkungen zu der Möglichkeit, die chinesische Politik profunde zu beeinflussen, geantwortet: 'Sie werden China nach den Olympischen Spielen nicht mehr wiedererkennen, Herr Gebauer.' Das habe ich mir gemerkt. Weil das war die falsche Prognose."
    Tatjana Lokschina ist Vorsitzende von Human Rights Watch in Russland. Sie bestätigt:
    "Das wichtigste Ergebnis der Olympischen Spiele in China war die Ausweitung der Kompetenzen der Sicherheitsdienste. Sie haben zusätzliche Vollmachten bekommen."
    Ein chinesisches Paar spaziert in einem Park in Peking an einem Olympia-Logo vorbei.
    Auch in China 2008 gab es im Vorfeld viele politische Versprechungen, sagt der Sportwissenschaftler und Philosoph Gunter Gebauer. (AP)
    Zeit der kleinen Siege
    In Russland ist das gleiche vor den Olympischen Spielen in Sotschi passiert, und es passiere auch jetzt vor der Fußball-Weltmeisterschaft, berichtet Lokschina. Präsident Putin hat für die Dauer der WM besondere Sicherheitsmaßnahmen angeordnet. Und dennoch berge die Fußball-Weltmeisterschaft auch Chancen, glaubt Tatjana Lokschina. Denn jetzt schaue die Weltöffentlichkeit nach Russland.
    "Erinnern wir uns an die Olympischen Spiele in Sotschi Anfang 2014. Am Vorabend wollte Russland sein Image in der Welt ganz offensichtlich verbessern. Es wurden einige der bekanntesten politischen Gefangenen freigelassen. Herr Chodorkowskij und die Mädels von Pussy Riot. Wenn die ganze Welt auf Russland schaut, gibt es vielleicht die Möglichkeit, irgendwo irgendetwas zu erreichen. Es ist die Zeit kleiner Siege."
    Human Rights Watch kämpft seit Wochen für Ojub Titijew, den Leiter der Menschenrechtsorganisation Memorial in der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Titijew wurde Anfang des Jahres wegen angeblichen Drogenbesitzes festgenommen. Ihm drohen zehn Jahre Haft. In Tschetschenien herrscht völlige Willkür. Regimekritiker wurden gefoltert, Menschen verschwinden. In Tschetschenien hat die ägyptische Nationalmannschaft ihr WM-Quartier bezogen.
    Eröffnung des FIFA-Fan-Fests in Moskau
    Eröffnung des FIFA-Fan-Fests in Moskau (imago sportfotodienst/Mikhail Japaridze/TASS )
    Die FIFA hat sich vor einem Jahr neue Leitprinzipien zu Menschenrechtsfragen gegeben. Darin verspricht der Weltverband, alle international anerkannten Menschenrechte zu schützen. Human Rights Watch hat deshalb - mit anderen internationale Menschenrechtsorganisationen - einen Brief an die FIFA geschrieben, berichtet Tatjana Lokschina.
    "In Anbetracht der neuen Menschenrechtspolitik der FIFA erwarten wir von ihr, dass sie allen Einfluss auf die russischen Machthaber geltend macht, damit der Fall Ojub Titijews geklärt wird."
    Der Antwortbrief der FIFA kam nach wenigen Wochen.
    "Die FIFA ist sehr besorgt angesichts der Lage von Herrn Titijew. Die Führung der FIFA wird sich weiterhin persönlich in der Angelegenheit von Herrn Titijew engagieren und wir hoffen, dass in naher Zukunft eine Lösung gefunden werden kann."
    Bisher ist von dieser Lösung nichts bekannt, ebenso wenig im Fall des ukrainischen Filmregisseurs Oleg Senzow, für den sich Menschen weltweit einsetzen. Senzow sitzt eine 20jährige Haftstrafe am Polarkreis ab und befindet sich seit knapp einem Monat im Hungerstreik. Er will damit einen Gefangenenaustausch zwischen Russland und der Ukraine bewirken.
    Am Sonntag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt, zur WM zu fahren, sofern es ihre Zeit erlaube. Sie wolle dies auch für politische Gespräche nutzen. Manch einer hofft, dass Merkel - im Zuge der Weltmeisterschaft - die Freilassung Senzows bewirken oder Russland endlich zu einem Einlenken in der Ostukraine bewegen kann. Befürworter eines weicheren Kurses gegenüber Russland hoffen, dass die Begegnungen während der Weltmeisterschaft für eine Annäherung an Putin sorgen. Der Politologe Andrej Kolesnikow hält das allerdings für ausgeschlossen.
    "Den einfachen Leute mag es scheinen, dass Putin vielleicht doch nicht so schlimm sein kann, wenn in seinem Land so ein Ereignis erfolgreich stattfindet. Aber bei den Eliten wird das nicht funktionieren. Für die westlichen Eliten bleibt Putin der Putin, der sich nach 2014 gebildet hat - nach der Annexion der Krim.
    Das Bild hat sich festgesetzt: Er ist ein Mensch, der sich überall einmischt. Ein Mensch, der seine Komplexe mit Autoritarismus befriedigt."