Rohan: Wahlen im Kosovo haben große Bedeutung

Albert Rohan im Gespräch mit Nana Brink · 13.12.2010
Der ehemalige UN-Sonderbotschafter für das Kosovo, Albert Rohan, hat von der Europäischen Union nachdrücklich verlangt, sich mehr für den Balkanstaat einzusetzen. Dass die kommende EU-Visa-Freiheit nicht für die Kosovaren gilt, ist für ihn eine "Schande".
Nana Brink: Es war wirklich ein kühner Akt, als sich das Kosovo im Februar 2008 für unabhängig erklärte. Über 70 Länder erkannten die Souveränität an, darunter auch Deutschland. Allerdings beharrte Serbien darauf, dass das Kosovo weiterhin zu ihnen gehörte. Ein Zwist, der sich übrigens zwischen den Kosovaren und den Serben bis heute nicht gelöst hat. Gestern fanden nun Parlamentswahlen statt, die ersten seit der Unabhängigkeitserklärung, bislang sind sie auch ohne Zwischenfälle verlaufen. Und den Sieg reklamiert die Regierungspartei unter Ministerpräsident Thaci für sich.

Am Telefon ist jetzt Albert Rohan, ehemaliger Sonderbotschafter der UN im Kosovo. Einen schönen guten Morgen, Herr Rohan!

Albert Rohan: Guten Morgen!

Brink: Welche Bedeutung haben diese Wahlen für das Kosovo?

Rohan: Ich glaube, sie haben eine sehr große Bedeutung, weil das sind, wie Sie gesagt haben, die ersten Wahlen seit der Unabhängigkeit. Sie sind gut verlaufen und es geht jetzt darum, dass aus diesen Wahlen eine starke Regierung herauskommt. Es wird keine der Parteien die Mehrheit haben, die absolute Mehrheit haben, es wird da jetzt eine Koalitionsregierung geben, und man muss zwei oder drei Parteien finden, die miteinander können. Und das wird die erste Herausforderung sein.

Brink: Das wäre meine zweite Frage gewesen: Was ist denn die größte Herausforderung für die neue Regierung? Bislang sieht es ja so aus, dass der alte auch der neue Regierungschef ist.

Rohan: Davon ist auszugehen, nur mit wem soll er zusammen gehen? Es sind ähnliche Situationen wie in Deutschland oder Österreich, wo die großen Partner vielleicht wieder zusammen gehen könnten, oder wenn eine der beiden größeren Parteien mit kleineren Parteien zusammen geht. Das wird man sehen. Was die Regierung dann machen muss als Erstes, ist den Dialog mit Belgrad aufnehmen, der ja geplant ist, über praktische Dinge des Zusammenlebens. Und das ist eine sehr heikle Frage.

Brink: Das ist ja auch eines der größten Probleme des Kosovo, die Zusammenarbeit zwischen Serben und Albanern, die es ja eigentlich – ja kann man das so sagen – de facto nicht gibt.

Rohan: Es gibt mit Belgrad keine direkte Zusammenarbeit. Das Neue an den jetzigen Wahlen war, dass sehr viele Serben, die in den verschiedenen Teilen des Landes leben, an den Wahlen teilgenommen haben. Also die Serben, die im Kosovo leben, haben erkannt, dass eine Mitarbeit, eine Mitwirkung an den Entscheidungsprozessen in ihrem eigenen Interesse ist. Belgrad ist noch nicht ganz so weit, aber diese Gespräche können vielleicht da doch helfen.

Brink: Sie sagen, sie sind noch nicht ganz so weit. Können die Serben sozusagen im Kosovo Druck ausüben auf Belgrad? Oder anders gefragt, tun sie das?

Rohan: Ich glaube schon, dass sie das tun, weil schließlich geht es ja um ihr Schicksal und nicht um das Schicksal von Belgrad. Und ich glaube, diesen Punkt, den machen sie auch sehr stark in Belgrad. Nur in Belgrad sind übergeordnete politische Überlegungen, die nicht identisch sind mit den praktischen Dingen, die für die Kosovo-Serben selbst wichtig sind.

Brink: Nun stellt sich ja, gerade wenn man in das Kosovo blickt, ja auch immer die Frage nach einem Fortschritt: Die Arbeitslosigkeit ist immens, über 40 Prozent, die Probleme liegen auf der Hand, Korruption, eine mangelnde Bürokratie. Aber es ist ja immer die Frage, mit welchem Maßstab misst man. Also vor sieben Jahren gab es keine Ministerien, gar kein Gericht im Kosovo. Hat sich also viel bewegt trotz alledem?

Rohan: Ich glaube, es hat sich sehr, sehr viel bewegt, wenn man eben davon ausgeht, dass etwa vor 15 Jahren ja Kosovo wie eine Kolonie Serbiens verwaltet wurde. Es waren keine einzigen Kosovaren in der der staatlichen Verwaltung, im Gesundheitswesen, im Erziehungswesen integriert, es muss alles neu gemacht werden. Es fehlt ein Beamtenapparat, ein professioneller, der den Interessen des Staates nur verpflichtet ist. Alles das muss langsam geschehen. Vor zehn Jahren gab es kein einziges Ministerium, heute sind alle Ministerien da, da ist ein Parlament, es sind Gerichtshöfe. Also mit der Hilfe der Europäischen Union, die ihre zivile Mission dort hat, wird es schon gehen, aber es dauert halt, es braucht seine Zeit.

Brink: Aber Sie sehen das optimistisch. War denn die Unabhängigkeitserklärung – Sie waren ja an diesen Verhandlungen zwischen 2005 und 2008 beteiligt –, war das im Nachhinein dann richtig oder eher doch ein Fehler?

Rohan: Es war die einzige Möglichkeit. Weil der Status quo, also dieses internationale Protektorat, konnte nicht weiter gehen. Die Bevölkerung hätte das nicht mehr ausgehalten und es wäre wieder zu Konflikten gekommen. Das war das einzig Richtige, nur muss man jetzt noch sehr, sehr viel tun und die EU muss eine große Rolle spielen.

Brink: Was muss die EU denn tun beziehungsweise was kann sie denn tun? Zwischen Serben und Kosovaren vermitteln?

Rohan: Das auf jeden Fall, das wird sie auch tun. Aber es sind andere Dinge eben, es ist eine Schande, dass Kosovo zum Beispiel von der Visafreiheit, die ab 1. Jänner des nächsten Jahres alle Balkanstaaten genießen werden für die Europäische Union, ausgeschlossen sind. Das ist ein schwarzes Loch. Und es besteht kein Grund, weil die technischen Voraussetzungen wurden im Kosovo genau so gemacht, wie in Bosnien oder wie in Serbien oder in Mazedonien. Und das ist ein völlig unverständlicher Schritt, das ist das Erste, man darf nicht den Kosovaren das Gefühl geben, dass sie von Europa nicht angenommen werden.

Und dann müssen sie eine konkrete Perspektive für eine Annäherung an die Integration bekommen, wie das die anderen Balkanstaaten haben. Also ich glaube, die EU muss da sich schon sehr stark am Riemen reißen und eine präzisere und genauere Planung machen und den Kosovaren sagen, ja, ihr gehört auch zu Europa und ihr werdet, wenn die Voraussetzungen so weit sind, auch Mitglied der Union werden wie die anderen Balkanstaaten.

Brink: Das bedeutet aber auch, dass man natürlich Druck auf Serbien ausüben muss, weil ohne sozusagen diese Partnerschaft zwischen den beiden funktioniert es ja auch nicht.

Rohan: Ja, Serbien muss man klipp und klar sagen, dass erst einmal die Unabhängigkeit des Kosovo ist irreversibel, das weiß jeder, das weiß man auch in Belgrad. Aber ihr Serben müsst den Konflikt mit Kosovo lösen, ihr müsst Kosovo in irgendeiner Weise anerkennen, weil die Union will nicht einen weiteren Konflikt in die Union selbst hereintragen. Dieses Prinzip, das man bei der letzten Erweiterungsrunde mit Zypern verletzt hat, bedauerlicherweise, wird diesmal sicher nicht mehr verletzt werden. Daher kein Staat – weder Serbien, noch Kosovo – kann in die Union hinein, wenn die Beziehungen zwischen den beiden nicht normalisiert sind.

Brink: Albert Rohan, ehemaliger Sonderbotschafter der UN im Kosovo. Einen schönen Dank für das Gespräch!

Rohan: Bitte sehr!