Römische Puppet-Show

Von Dina Netz · 25.11.2010
Köln hat seine Gründung zwei Unmöglichkeiten zu verdanken: Dass eine Frau, Agrippina, römische Kaiserin wurde und dass diese Frau auch noch ihren Geburtsort zur Stadt erhob. Suse Wächter umkreist das Wenige, das von Agrippina verbürgt ist.
Gerade erst hat Kölns Intendantin Karin Beier Elfriede Jelineks Menetekel "Ein Sturz" auf die große Bühne des Schauspielhauses gebracht, im dem die Literaturnobelpreisträgerin der Stadt ihr Versagen bei der Stadtarchiv-Katastrophe vorhält. Die Puppenspielerin Suse Wächter bohrt nun gleich noch einmal in derselben Wunde - sie erinnert nicht nur an das aktuelle Einsturzloch, an dieses Grab von zwei Menschen und unzähligen unbezahlbaren Dokumenten, sondern sie gibt dem Kölner Selbstbewusstsein gleich ganz den Rest: "Köln war nicht nötig, es war vielleicht gerade mal so eben möglich."

Damit spielt Wächter darauf an, dass Köln seine Gründung zwei Unmöglichkeiten zu verdanken hat: Dass eine Frau römische Kaiserin wurde und dass diese Frau auch noch ihren Geburtsort zur Stadt erhob - Agrippina, der Wächter ihr "römisches Hysterienspiel mit Puppen und Sandalen" widmet.

Allerdings ist die Quellenlage zu Agrippina schlecht, man weiß, dass sie 15 oder 16 nach Christus im heutigen Köln geboren wurde, in dritter Ehe ihren Onkel Claudius heiratete, der sie zur Kaiserin und Köln zur Stadt machte. Um ihren Sohn Nero auf den Kaiserthron zu hieven, soll Agrippina Claudius vergiftet haben und 59 nach Christus selbst von Nero ermordet worden sein.

Suse Wächter umkreist das Wenige, das von Agrippina verbürgt ist, und reflektiert die Legende. In einer Szene brauen die drei Schauspielerinnen Anja Herden, Ruth Marie Kröger und eben Wächter einen Zaubertrank und hinterfragen den Mythos der weiblichen Giftmischerin (wofür sie natürlich die Hilfe eines Mannes brauchen, der in Form einer Miraculix-Puppe auch sogleich herbeieilt).

Eine der komischsten Szenen wird als Video eingeblendet: Die Nero-Puppe (etwas grenzdebil, mit Elvis-Frisur) wird bei einem Mitarbeiter der Agrippina-Versicherungen vorstellig und erkundigt sich, bei welcher Todesart seiner Mutter er erben werde. Der Versicherungsagent erklärt ihm stoisch die Vorzüge von Risiko-Lebens-, Unfall- und Gebäudeversicherungen.

Agrippina allerdings kommen wir an diesem Abend nicht näher, und weil das so ist, wird sie auch nicht von einer Puppe dargestellt. Als Puppe (und somit klar umrissener Charakter) tritt zum Beispiel der Philosoph und Kaiser-Berater Seneca auf: in weißer Toga, mit weißem Flatter-Haar und weisem Blick im faltigen Opi-Gesicht. Oder Claudius, mit Lorbeerkranz und Sandalen, stirbt minutenlang auf seinem Ruhebett vor sich hin, rülpst, windet sich und überbrückt die 2000 Jahre zwischen ihm und dem Publikum, indem er in einer Art Futur II spricht ("Britannicus wird mein Erbe niemals angetreten haben werden können"). Ironie der Fortsetzung der Geschichte, dass all die starken und weisen Männer ohne die Schauspielerinnen, die sie tragen, nicht auf die Beine kämen.

Damit eine dieser knapp hüfthohen Puppen Kopf und beide Arme bewegen kann, müssen allein zwei Schauspielerinnen tätig werden. Um zwei Puppen in Dialog zu bringen, braucht es also drei Schauspielerinnen, von denen eine zwei Puppen gleichzeitig "bedient" - was enormes Geschick und akkurate Abstimmung erfordert. Suse Wächter verschmilzt, wie immer, geradezu mit ihren Puppen. Aber auch die beiden Puppen-Neuligen Anja Herden und Ruth Marie Kröger machen ihre Sache gut.

Einen stimmigen Abend mit rotem Faden ergibt diese römische Puppet-Show allerdings nicht. Zwar halten die Musiker Jörg Follert, Christoph Clöser und Thomas Klein die Szenen mit ihrem Soundtrack zusammen, aber inhaltlich und formal ist diese "Agrippina" doch recht disparat. Nicht schlimm, denn es gibt viel zu lachen, ein paar schöne szenische Einfälle und vor allem: tolle Puppen.

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