Roboter für die Kanalrohrwartung

Von Dirk Asendorpf · 28.12.2010
Seit über einhundert Jahren wird die Emscher als Abwasserkanal zweckentfremdet. Schnurgerade durchschneidet der stinkende Fluss das gesamte nördliche Ruhrgebiet. Bis 2020 soll die Kloake in einem unterirdischen Rohr verschwinden. Eines der größten Bauprojekte Europas - und eine Herausforderung für die Robotik.
"In Westfalen gilt das gesprochene Wort, dahingehend werde ich heute meinen Wetteinsatz einlösen: Ich gehe also gleich in die Emscher, hoffe auf Zuspruch."

Sascha Mader ist der Bezirksbürgermeister von Dortmund-Aplerbeck. Vor einem Jahr hatte er darauf gewettet, dass die Bauarbeiten zur Renaturierung des ersten Stückchens der Emscher nicht wie geplant vor Weihnachten 2010 abgeschlossen würden. Doch Anfang Dezember ist alles schon fertig – und Sascha Mader muss sein Versprechen einlösen.

Es ist ein kleiner Lokaltermin – und gleichzeitig der erste vollendete Abschnitt eines der größten Bauprojekte Deutschlands. 4,4 Milliarden Euro investieren die Emschergenossenschaft und das Land NRW bis 2020, um die 80 Kilometer lange Abwasserrinne, die seit hundert Jahren das nördliche Ruhrgebiet durchschneidet, in einen Fluss zurück zu verwandeln. Aus der größten Kloake Europas wird die "blaue Emscher".

Hier, gut zwei Kilometer von der Quelle in Holzwickede entfernt, ist sie nur einen guten Meter breit und keine 30 Zentimeter tief. Doch bis zur Mündung bei Dinslaken schwillt sie mächtig an. Denn unterwegs mündet die Kanalisation von 2,3 Millionen Menschen in den Fluss, dazu kommt noch einmal die gleiche Menge Abwasser aus Industriebetrieben. Und diese Kloake wird jetzt Schritt für Schritt in gewaltige unterirdische Rohre verbannt. Der Fluss oben drüber führt dann nur noch Regenwasser.

"Der zukünftige Abwasserkanal Emscher wird bis zu 40 Meter unter Gelände liegen, das ist ein Abwasserkanal mit Durchmessern zwischen 1,60 und 2,80 Meter innen, immer zu einem großen Teil mit reinem Schmutzwasser gefüllt."

Heiko Althoff ist Technik-Chef der Emschergenossenschaft und musste schon lange vor Baubeginn zeigen, wie der gewaltige unterirdische Abwasserkanal künftig gewartet werden soll. Sonst wäre das gewaltige Bauprojekt nicht genehmigt worden.

"Das ist einfach eine Arbeitsumgebung, in die man Menschen nicht hineinschicken kann, weil einfach die Atmosphäre da drin nicht unbedingt förderlich der Gesundheit ist und zum Zweiten, weil die Strecken in den Haltungslängen so lang sind, dass man die Fluchtwege nicht mehr realisieren kann. Also neue Techniken anwenden, wo man bemannt nicht mehr arbeiten muss."

Automatische Wartungssysteme für derartig große Rohre gab es jedoch nirgendwo auf der Welt. Nur in kleinen, für Menschen unzugänglichen Kanalrohren sind künstliche Molche ferngesteuert im Einsatz. Für den Emscherkanal musste eine Eigenentwicklung her, Norbert Elkmann vom Magdeburger Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung bekam den Auftrag. In einer kalten Fabrikhalle des ehemaligen VEB Schwermaschinenbau Karl Liebknecht testet er die Prototypen der Wartungsroboter. Der größte ist dreieinhalb Meter lang und fährt auf abgewinkelten Achsen knapp über dem Boden des Kanalrohrs.

"Hier sieht man die Kinematik, die Mimik mit der Reinigungstechnik, unten die Hektordüse und hier oben die Düsenleiste zur Reinigung der Kanalwand. Das System ist 4-Rad-getrieben, es darf unter keinen Umständen Wasser hineinfließen, wir müssen permanent Überdruck erzeugen um gewisse Eckschutzvorgaben zu erfüllen. Hier sind verschiedene Kameras, mit denen man die Kanalwand aufnimmt. Und hier diese Gebilde, sehr komplex, mit den entsprechenden Glasscheiben für Laserlichtlinie, um auch die 3-D-Vermessung durchführen zu können. Das sind zwei Tonnen Technik pur, Maschinenbau, Elektrotechnik, Informatik, vollgestopft mit Technologie."
Anhand kleinster Temperaturunterschiede kann der Roboter zum Beispiel einsickerndes kühles Grundwasser im wärmeren Abwasser aufspüren oder mit Ultraschall und Linienlasern Dreckablagerungen und winzigste Verschiebungen an den Verbindungsstellen der Rohrsegmente aufspüren – womöglich ein erstes Vorzeichen für eine gefährliche Bergsenkung. Im durchlöcherten Untergrund des ehemaligen Kohlebergbaureviers ist das keine Seltenheit.

Obwohl die Sensordaten bereits an Bord des Roboters komprimiert werden, fließen pro inspizierten Meter noch immer 350 Megabyte über das lange Versorgungskabel in den schneeweißen Wartungs-LKW mit Essener Kennzeichen. Dort werden die Einzelbilder elektronisch entzerrt und wie ein Mosaik zu einer Gesamtschau zusammengefügt. Permanent vergleicht das System dabei die aktuellen Bilder mit allen zuvor gemacht Aufnahmen. Verdächtige Unterschiede werden grün markiert. José Saenz hat die Software programmiert.

"Wir wollen Risse finden, die unter einem Millimeter breit sind. Und das können wir gar nicht, auch wenn wir selber hier die ganze Zeit penibel durchgehen würden. Also nutzen wir verschiedene Algorithmen in der Bildverarbeitung um diese Schäden automatisch zu erkennen und da werde ich dann drauf gelenkt auf diese möglichen Risse oder solche Sachen. Das ist die Kunst dabei. Denn diese große Datenmenge ist zu viel für einen Mensch zu erfassen."

Der hochmoderne Wartungsroboter ist schon fertig, die Arbeiten an dem gigantischen Abwasserrohr selber haben dagegen gerade erst begonnen, 2017 soll er eingeweiht werden. Dann wird nicht nur in Dortmund-Aplerbeck, sondern in der gesamten, 80 Kilometer langen, Emscher zum ersten Mal seit über Hundert Jahren wieder sauberes Wasser fließen.

"Da alle anderen schon frieren, ziehe ich mich jetzt aus und geh da rein."