Roboter als Grundschullehrer

"Die Kinder würden ihn gerne mal umarmen"

Ein Roboter, der Mathe und Yoga kann.
© Sven Kästner
Von Sven Kästner · 14.02.2017
Was braucht man, um Kinder zu unterrichten? Muss man dazu etwas fühlen können, ein Mensch aus Fleisch und Blut sein? Oder reicht das richtige Programm? An einer Grundschule am Berliner Stadtrand versucht sich ein Roboter als Lehrer.
"Die Hände sind auf dem Bauchnabel. Der Kopf ist leicht gesenkt. Die Augen sind geschlossen. Beobachtet eure Atmung."
Kinderyoga in der Friedrichshagener Grundschule am südöstlichen Berliner Stadtrand. Fast zwanzig Jungen und Mädchen aus der Klasse 2a sitzen an diesem Nachmittag im Schneidersitz auf blauen Matten.
Erzieherin Martina Kunze zeigt die Übungen nicht selbst, sondern hat einen Assistenten dabei.
"Den kenn ich! - Ich auch! - Den kenne ich aus dem Fernsehen!"
Es ist - ein Roboter. Er hört auf den Namen Nao und sieht aus wie eine futuristische Puppe aus Plastik: Etwa 60 Zentimeter groß, mit freundlich leuchtenden LED-Augen. Er steht am Boden auf einer eigenen Matte und begrüßt die Kinder mit einer traditionellen Yogaformel aus seinem Sprachprogramm.
"Namasté."
"Namasté!"
"Ich zeige euch die Figuren. Seht dabei zu und seid schön still."
21 kleine Motoren stecken im Roboter und sorgen dafür, dass er Arme, Beine, Kopf und Hände bewegen und in die Knie gehen kann.
Während die Mädchen und Jungen die Bewegungen nachmachen, die der Roboter zeigt, sitzt an einer Seite des Raumes Lutz Geißler vor seinem Laptop. Der Ingenieur im Vorruhestand hatte die Idee für den deutschlandweit ersten Schulversuch in der Hortbetreuung. Den Roboter programmiert er ehrenamtlich.
"Im pädagogischen Bereich ist eine der Hauptüberschriften das Thema 'Lernmotivation'. Also Lust und Neugier wieder anzustacheln. Auch emotionale Begeisterung bei Kindern und bei den Erwachsenen zu wecken. Dann natürlich solche Sachen wie Aufmerksamkeit üben und trainieren, auch die Selbstwahrnehmung."
An der Berliner Grundschule lernen auch Integrationskinder – zum Beispiel Schüler mit Verhaltensproblemen, mit Konzentrationsschwierigkeiten oder körperlichen Handicaps. Gerade diese Schüler wollen die Pädagogen mit dem Roboter erreichen. Der Maschinenmensch soll Aufmerksamkeit und Begeisterung wecken.
"Hallo, ich bin Nao. Und wer bist Du? Sage mir einfach Deinen Namen."
"Max-Ole."
"Hallo, Max-Ole! Wir fangen jetzt an."
"Ja."
Am nächsten Tag steht der Android auf einem Schultisch, ihm gegenüber sitzen der achtjährige Max-Ole und eine Erzieherin. Rechnen üben steht auf dem Nachmittagsprogramm.
"Wir spielen das Spiel 1+1. Jetzt bis zur 10. Bitte sage mir die Aufgabe auf den Karten laut und deutlich. Und nenne mir das Ergebnis, wenn ich Dich frage. Warte immer, bis ich fertig bin mit Reden. Ich mache dann 'klick'."
Die Sätze des Roboters erinnern ein wenig an automatische Telefon-Hotlines. Zuweilen gibt es trotz der vier eingebauten Mikrofone auch Verständigungsprobleme.
"Ich höre Dir zu. Los geht‘s!"
"1+4!"
"Ist gleich?"
"5!"
"Ich habe 1 verstanden. Ist das richtig?"
"Nein!"
Die Verzögerung, bis Nao vom Sprechen zum Zuhören umschaltet, erschwert die Kommunikation mit den Kindern. Für solche Fälle sitzt Janina Gadegast mit am Tisch. In ruhigem Ton gibt die Erzieherin Tipps, was jetzt zu tun ist.
"Mach das mal noch Mal, und vielleicht ein kleines bisschen schneller."
Beim nächsten Versuch verstehen sich Schüler und Roboter.
"4+4."
"Ist gleich?"
"8."
"8. Prima. Toll. Und weiter. Ich höre dir zu."
In der Pädagogik spielt emotionale Bindung eine große Rolle, Roboter aber sind kalte Maschinen. Trotzdem können sie bei den Kindern Gefühle wecken, wie Gadegast im Pilotprojekt beobachtet hat.
"Ich habe sogar bemerkt, dass die Kinder ihn ganz gerne auch mal umarmen würden. Anfassen, also dieses Berühren ist ganz, ganz wichtig. Und, ja, vielleicht auch mal mit dem spielen wollen. Ist natürlich so eine Sache, das funktioniert nicht so. Aber ich glaube, dass die Bindung da ganz, ganz schnell hergestellt ist."
Ersetzen kann Nao die Pädagogen aber nicht. Vom Roboter betreute Schulkinder bleiben – bis auf weiteres – Science Fiction. Das zeigt sich auch kurz vor Ende der Rechenübungen – als der digitale Nachhilfelehrer seinen Schützling plötzlich im Stich lässt.
"Hallo, ich bin Paul. Warning 500 Erstens. i punkt connect to cloud services. My system date is wrong." - Piep-Ton.