Roberto Simanowski: "Stumme Medien"

"Hate Speech" gehört in den Lehrplan

Roberto Simanowski fordert in "Stumme Medien" mehr digitale Aufklärung, etwa über die Funktionsweise von Facebook.
Roberto Simanowski fordert in "Stumme Medien" mehr digitale Aufklärung, etwa über die Funktionsweise von Facebook. © picture alliance / dpa / Jens Kalaene; Matthes & Seitz
Von Vera Linß · 02.05.2018
Dies ist ein wichtiges Buch über Bildung im digitalen Zeitalter: Roberto Simanowski empört sich in "Stumme Medien" darüber, wie wenig selbst Pädagogen und Kultusminister über den Einfluss von Medien auf den Einzelnen und die Gesellschaft wissen.
Tatsächlich? Computer verschwinden? Soll das ernst gemeint sein? Ja, sehr ernst! Computer verschwinden aus dem Blickfeld, sagt Roberto Simanowski. Wie durch ein Fenster schaue man durch sie hindurch und reflektiere nur noch, was man darin sieht – nicht aber mehr das Medium selbst. Völlig zu Unrecht werde dabei ausgeblendet, wie gravierend die Geräte die Kommunikation und damit auch die Gesellschaft formen. Neue Medien könnten die Menschen genauso so stark verunsichern, wie die Flüchtlingskrise oder die Angst vor Terror. Statt darüber zu diskutieren, gehe es aber immer nur um die technische Anwendung digitaler Technologien – ein viel zu oberflächlicher Diskurs, klagt der Medienwissenschaftler.
Seinem Ärger darüber lässt Simanowski, derzeit Professor an der Päpstlichen Katholischen Universität von Rio de Janeiro, freien Lauf. Zumal er die Schuldigen an der Misere klar ausgemacht hat: Konzeptlose Politiker und gewinnorientierte Unternehmen dominieren die Debatte über die Digitalisierung, wettert er, um dann zornig mit Politik und Bildungssystem abzurechnen. Dort nämlich sieht Simanowski – selbst ausgebildeter Lehrer – den dringendsten Handlungsbedarf und fordert: Schulen und Universitäten müssen das Bedingungsgefüge zwischen Medien und Gesellschaft endlich offen legen, damit sie mündige Bürger erziehen, die für die Demokratie so wichtig sind.

Inkompetenz von Politikern und Bildungsstrategen

Das aber funktioniert bislang nicht, und wie sich Simanowski an den Gründen dafür abarbeitet, ist so fundiert, schlüssig und lakonisch, dass es einfach Spaß macht, sein Buch zu lesen. Zum einen ist da die Inkompetenz von Politikern und Bildungsstrategen, die selbst nicht die Kommunikationsbedingungen digitaler Medien verstehen. Simanowski beweist das etwa am Beispiel Fake News, die in den Filterblasen sozialer Netzwerke kursieren. Facebook sei der Ort, der das Interesse daran maßgeblich produziere, weil das Interface auf Eile, Abgrenzung und Selbstbestätigung optimiert ist. Dagegen immun machen könne nur Aufklärung über die Funktionsweise von Facebook. Aber steht das Thema etwa in den Lehrplänen? Fehlanzeige. All die Fact-Checking-Initiativen seien nur Symptombekämpfung, politische Maßnahmen wie etwa das Netzwerkdurchsetzungsgesetz zum Kampf gegen Hate Speech "betreute Anarchie".
Am meisten frustriert Simanowski aber, dass diese Inkonsequenz System zu haben scheint. Denn Besserung ist nicht in Sicht, wie sein Blick etwa in die Strategiepapiere der Kultusministerkonferenz zeigt. (Lehrer-)Bildung bleibe demnach auch in Zukunft ohne Einbeziehung der medien- und sozialwissenschaftlichen Perspektive, nur darauf ausgerichtet, dass Schüler nach der Logik funktionieren, die von den Designern der digitalen Medien vorgegeben werde. Neu ist dieses Konzept der "Halbbildung" nicht, wie Simanowski bissig (mit Rückgriff auf Adorno) diese Verflachung nennt. Umso entscheidender sei es, so das Plädoyer des Autors dieses wichtigen Buches, erneut eine Debatte darüber anzustoßen, was Bildung (im digitalen Zeitalter) wirklich leisten muss.

Roberto Simanowski: Stumme Medien. Vom Verschwinden der Computer in Bildung und Gesellschaft
Matthes & Seitz, Berlin 2018
304 Seiten, 24 Euro

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