Roberto Saviano: "Der Clan der Kinder"

Jung, gierig und skrupellos

Buchcover Roberto Saviano: "Der Clan der Kinder"
Mit "Gomorrha" wurde Roberto Saviano bekannt, nun hat er seinen ersten Roman über die Mafia vorgelegt. © Hanser Verlag / Imago/ Zuma Press
Von Carolin Fischer · 29.01.2018
Sie stammen aus geregelten Verhältnissen, doch die Gier nach dem schnellen Geld ist zu groß. In "Der Clan der Kinder" erzählt Roberto Saviano die Geschichte einer jugendlichen Mafia-Band, die im Strudel der Gewalt versinkt.
Helden sind Mario Puzis Mafiosi, sein Pate Vito Corleone weigert sich, als echter Ehrenmann, in den Drogenhandel einzusteigen, und noch zu Beginn unseres Jahrhunderts schildert Simonetta Agnello Hornby in ihrem Roman "Die Mandelpflückerin" den Mafiaboss eines sizilianischen Städtchens als nahezu allmächtigen Garanten für Recht und Ordnung. Das Bild, das Roberto Saviano von der neapolitanischen Camorra zeichnet, ist bekanntlich ein ganz anderes, und hat ob seiner Nähe zur Realität dazu geführt, dass der Autor seit der Publikation von "Gomorrha" im Jahre 2006 versteckt leben muss. Den Kampf gegen das organisierte Verbrechen führt in seinen Publikationen dennoch weiter.

Geld für trendige Sneakers und Klamotten

Einen durchaus dokumentarischen Charakter hat auch sein neuestes Buch, "Der Clan der Kinder", da die Veränderungen in den mafiösen Strukturen nach der Festnahme mehrerer Bosse den Hintergrund der Handlung bilden, doch legt der Autor diesmal einen wirklichen Roman vor. Das Ganze beginnt auf einer Piazza, auf der eine Gruppe heranwachsender Freunde einen Jungen brutal malträtieren, weil er es gewagt hatte, die Freundin eines der Ihren, Maraja, auf Facebook zu "liken". In dieser packenden Eingangsszene finden sich fast alle Elemente, die Saviano im Folgenden entwickelt: der Zusammenhalt der Gruppe, ihre Gewaltbereitschaft, die Führungsposition Marajas und die Rolle der Medien. Diese Jungs stammen wie Maraja – seine Mutter besitzt eine Wäscherei, der Vater ist Lehrer – aus geregelten Verhältnissen, doch zu verlockend ist das Angebot, schnell Geld mit Drogenhandel zu verdienen, Geld, das in trendige Sneakers und Klamotten konvertiert wird.
Geld, auf das sie nicht mehr verzichten wollen, als der Camorrista, für den sie arbeiten, verhaftet wird. So organisieren sie sich unter Führung von Maraja, beschaffen sich einen Unterschlupf und leisten einen Eid, Kopie einer Szene aus Giuseppe Tornatores Film "Der Professor", der auf dem Leben des Begründers der "Nuova Camorra Riformata", Raffaele Cutolo basiert. Völlig unerfahren und ohne jede Leitung suchen sich die Jungen Handlungsmodelle und -anweisungen in den Medien und im Internet, so in einer der irrsinnigsten Szenen, in der sie die Waffen, die sie sich beschafft haben, auf dem Dach eines Wohnhauses ausprobieren, während die Anwohner ein Feuerwerk abbrennen.

Packend und bedrückend

Die ständig zunehmende Brutalität bleibt für den Leser erträglich, da viele der gewalttätigen Momente gleichzeitig auch skurril sind. Die zahlreichen Passagen wörtlicher Rede bilden einen deutlichen Kontrast zu der geradezu analytisch nüchternen Sprache der präzisen Beschreibungen, die ganz und gar im Dienst der Geschehnisse zu stehen scheint; eine Doppelung, die den Figuren zusätzliche Plastizität verleiht.
Obwohl die Entwicklung in ihrer traurigen Konsequenz relativ schnell absehbar wird, ist Saviano ein zwar bedrückender, aber mindestens ebenso packender Roman gelungen, da er die Jugendlichen in ihrer Mischung aus Skrupellosigkeit, Konsumgier und Menschlichkeit psychologisch feinziseliert und außerordentlich berührend präsentiert.

Roberto Saviano: "Der Clan der Kinder"
Aus dem Italienischen übersetzt von Annette Kopetzki
Hanser Verlag, München 2018
416 Seiten, 24 Euro

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