Robert P. Jones: "White Too Long"

Rassismus in US-amerikanischen Kirchen

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Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump spricht, während er eine Bibel in der Hand hält. (2015)
Rassismus ist in US-Kirchen tief verwurzelt, schreibt Autor Robert P. Jones. Präsident Trump wirbt bei dieser Wählerschaft mit der Bibel um Sympathien. © Getty Images/ CQ-Roll Call Group/ Al Drag
Von Arndt Peltner · 18.10.2020
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Immer deutlicher wird, wie sehr Rassismus die USA spaltet. Der Irrglaube, weiße Menschen seien anderen überlegen, ist auch in manchen US-amerikanischen Kirchen tief verwurzelt – das beschreibt der Theologe Robert Jones in einem neuen Buch.
"Ich wuchs in Mississippi im amerikanischen Süden als "Southern Baptist" auf, also als evangelikaler Christ", erzählt der Theologe Robert P. Jones. "Das hat mich mein Leben lang geprägt."
Robert P. Jones ist Gründer des "Public Religion Research Instituts", einer gemeinnützigen Organisation, die das Zusammen- und Wechselspiel zwischen Politik und Religion in den USA erforscht. Vor Kurzem hat er ein Buch veröffentlicht mit dem Titel "White too long – The legacy of white supremacy in American Christianity" (Zu lange weiß – Das Erbe der weißen Vorherrschaft im amerikanischen Christentum). Darin geht Jones der Frage nach, wie sehr der systemische Rassismus im christlichen Amerika verwurzelt ist.

Weiße Geschichtsschreibung war selbstverständlich

Der Theologe besuchte eine christliche Schule und ein christliches College, was ihn in seiner Glaubenseinstellung prägte. Dass eine überwiegend weiße, christliche Gemeinschaft die amerikanische Geschichte schrieb, war für ihn ganz selbstverständlich.
Vor fünf Jahren, als mit Donald Trump ein republikanischer Kandidat antrat, der sich mit dem Slogan "Make America Great Again" genau an diese weiße, christliche Wählerbasis wandte, war für Jones klar, dass er ein Buch schreiben wollte, über die Verwicklung der christlichen Kirche in den USA mit dem Rassismus.

Die Predigten schwiegen von den Bürgerrechten

"Ein Beweis für die Kraft, für die anhaltende Präsenz des Rassismus ist das völlige Schweigen der Kirchen, die ich besuchte", erzählt Jones. "Ich habe nichts, absolut gar nichts von Gleichberechtigung oder über Bürgerrechte gehört. Ich kann mich an keine Predigt darüber, an keinen Unterricht in der Sonntagsschule erinnern."
Aufgewachsen ist der Theologe in den frühen 1970er-Jahren. Er erinnert sich: "Erst damals kamen die ersten afro-amerikanischen Kinder in unsere Grundschule. Der Staat Mississippi hatte fast zwei Jahrzehnte mit der Umsetzung des Urteils ‚Brown versus Board of Education‘ von 1954 gewartet, mit dem die Rassentrennung in den amerikanischen Schulen aufgehoben wurde. In meiner öffentlichen Schule in Mississippi hat diese Integration erst in den 1970er-Jahren stattgefunden."

Christen rechtfertigten auch Sklavenbesitz

Jones Buch "White too long" ist mehr als eine persönliche Erzählung. Der Theologe reichert seine Erfahrungen mit Fakten aus der langen Geschichte der Baptisten und anderer christlicher Religionsgemeinschaften an. Sie arumentierten in den Gründerzeiten durchaus, dass gläubige Christen das Recht auf den Besitz von Sklaven hätten. Wer von der amerikanischen Geschichte speche, müsse auch davon berichten, dass der Rassismus in den USA nicht zuletzt von "White Evangelicals", weißen Evangelikalen seit Mitte des 19. Jahrhunderts gefördert wurde, so Jones.
"Die Rassentrennungsgesetze und die tiefe Spaltung des Landes und auch der Christen im Land war kein Zufall. Das amerikanische Christentum lieferte die moralische Legitimation für diese Sichtweise", sagt Jones. "Diese Idee, dass Weiße über anderen stehen. Weiße Vorherrschaft, nicht im Sinne des Ku Klux Klan oder gewaltbereiter Extremisten, aber die Vorherrschaft von Weißen als göttlichen Plan für die Menschheit. Das zieht sich hier sehr tief und sehr explizit durch die amerikanische, die christliche Geschichte."

Nur wenige Weiße sahen das Leiden

Der US-Bürgerrechtler Martin Luther King schrieb einmal: "Ich hatte gehofft, dass die moderaten Weißen diese Notwendigkeit erkennen. Vielleicht war ich zu optimistisch, vielleicht habe ich zu viel erwartet. Ich glaube, ich hätte erkennen müssen, dass nur wenige Mitglieder der Unterdrückerrasse das tiefe Leiden und das leidenschaftliche Verlangen der unterdrückten Rasse verstehen können. Und noch weniger haben die Vision, dass Ungerechtigkeit durch starkes, andauerndes und entschlossenes Handeln beseitigt werden muss."
Jones meint dazu: "Martin Luther King hatte die Hoffnung, dass sich wohlwollende weiße Christen auf die richtige Seite der Geschichte stellen würden. Er wurde tief enttäuscht und schließlich erschossen. 1963 hat er diese bedeutende Zeile in seinem Brief aus dem Gefängnis in Birmingham, Alabama geschrieben, mit dem er sich an die Kirchen in Birmingham richtete. Nicht an die extremistischen, sondern an die gemäßigten Kirchen, denn für ihn war es nicht verständlich, warum sie nicht für Gleichberechtigung eintraten. Und er fragte: Wer sind diese Leute, diese weißen Christen, die sicher und wie betäubt hinter ihren bunten Kirchenfenstern sitzen?"

Auch Kirchenkreise förderten die Segregation

Die Vereinigten Staaten durchleben derzeit eine tiefe und breite Debatte über den systemischen Rassismus. Dabei geht es nicht nur um Polizeigewalt gegen Afroamerikaner, es geht auch darum, wie sich eine jahrzehntelang gezielte und zum Teil staatlich geförderte Benachteiligung von Schwarzen bis heute auswirkt. Allem voran das "Red Lining", die zwischen den 1930-er bis in die 1970er-Jahre praktizierte Ausgrenzung von Schwarzen aus weißen Nachbarschaften, die auch zur Folge hatte, dass afroamerikanische "Communities" gezielt benachteiligt wurden.
Die hohen Covid-19-Infektionsraten dieser Tage gerade in den "black and brown", also den afroamerikanisch und mexikanisch geprägten Wohnquartieren in den USA, sind auch eine Folge der Geschichte der Segregation in der Gesellschaft. Diese Trennung in den USA wurde bis in die frühen 1970er Jahre auch aus Kirchenkreisen gefördert, sagt Jones:
"Da waren Priester, die nicht nur erklärten, dass der Zuzug von Afroamerikanern die Grundstückspreise stark beeinflussen würden, sondern die auch ganz offen rassistisch meinten, dass das auch eine Gefahr für die weißen Mädchen sein würde. Dass allein die Anwesenheit von Schwarzen in der Nachbarschaft eine Gefahr für junge, weiße Mädchen sei."

Die Angst der weißen, christlichen Vorstädte

Auch Donald Trump hat immer wieder ganz offen davon gesprochen, dass die "Suburbs" geschützt werden müssten, die eigentlich ein Synonym sind für die weißen, christlichen Nachbarschaften in den Vorstädten. Der Präsident evoziert damit genau dieses Trugbild, das gerade in den Südstaaten und bei evangelikalen Christen noch heute einen besonderen Stellenwert hat. "Suburbia" steht für Ordnung, für Sicherheit, für das weiße Amerika.
"Das ist ganz klar rassistisch, das kann man gar nicht anders beschreiben", so Autor Jones. "In einem Tweet schrieb er sogar, dass die Gefahr für weiße Frauen in diesen Nachbarschaften darin bestehe, dass dort Sozialwohnungen gebaut werden würden. Und dann erklärte er, dass Cory Booker, ein afroamerikanischer demokratischer Senator, dafür zuständig sein würde. Alles in einer Kurznachricht. Das ist die Logik des Lynchens. Die weiße Frau wird von einem Afroamerikaner bedroht."
Jones‘ Buch stößt in den USA auf großes Interesse, denn in ihm beleuchtet er die Verbindung zwischen dem tief verwurzelten Rassismus und dem amerikanischen Christentum, die bislang wenig beachtet wurde. "White Too Long" ist eine mehr als lesenswerte Aufarbeitung einer sehr aktuellen Debatte in den USA.

Robert P. Jones: "White too long. The legacy of white supremacy in American Christianity"
Simon & Schuster 2020
320 Seiten, 21,11 Dollar

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