Robert M. Zoske: "Flamme sein! Hans Scholl und die Weiße Rose"

Vom draufgängerischen Schwärmer zum Dissidenten

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Cover von Robert M. Zoskes Buch "Flamme sein". Im Hintergrund ist das Mahnmal für die Geschwister Scholl an der LMU München zu sehen. © C.H. Beck / imago stock&people
Von Edelgard Abenstein · 10.02.2018
Anfangs war Hans Scholl begeistertes Mitglied der Hitlerjugend. Später gründete der verträumte Jugendliche die "Weiße Rose". Die Erfahrung als Homosexueller verfolgt zu werden hat Hans Scholl offenbar zum Widerstandskämpfer gemacht.
Sie waren jung, und sie waren todesmutig. In einer Welt des Bösen verkörperten sie das Gute. Vor 75 Jahren wurden sie vom NS-Regime ermordet, die Widerstandsgruppe, die sich den Namen Weiße Rose gab. Man meint sie aus zahlreichen Filmen und Büchern bestens zu kennen. Deren Gründer Hans Scholl sah man gern als "ganz normalen Deutschen". Doch so "normal", wie es die identitätsstiftend-trostreiche Floskel glauben machen wollte, war Sophie Scholls älterer Bruder nicht. Er lebte gefährlich, lange bevor er die zum Umsturz aufrufenden Flugblätter von der Empore in den Lichthof der Münchner Universität warf. Das zeigt überraschend Robert M. Zoskes Biographie.

Hans Scholl liebte Männer – und stand deswegen vor Gericht

Hans Scholl stammte aus einem protestantisch-liberalen Elternhaus, in dem man die Nazis ablehnte. Er hingegen sympathisierte mit der NSDAP, genau wie seine drei Jahre jüngere Schwester Sophie, die in BDM-Uniform zur Konfirmation erschien. Der Gymnasiast wurde begeisterter Fähnleinführer in der Hitlerjugend und träumte von einer Karriere als Offizier, was ihn nicht daran hinderte, daneben einen verbotenen, der "deutschen autonomen Jungenschaft" angehörenden Club aus Freunden zu leiten, mit denen er nach Lappland trampte.
Hans Scholl liebte Männer, er war 19, als man ihn verhaftete, 1938 stand er in Stuttgart wegen illegaler bündischer Jugendarbeit und "widernatürlicher Unzucht" mit Abhängigen vor Gericht. Nur weil er auf einen milden Richter traf, wurde das Verfahren eingestellt; er kam mit dem Schrecken davon.
Das alles ist eigentlich bekannt, seit vor zehn Jahren im Umkreis des Berliner Schwulen Museums die Verhörprotokolle des Stuttgarter Prozesses ausgewertet wurden. Nichts aber wusste man von einem Konvolut an Selbstzeugnissen, das Zoske im Nachlass Inge Aicher-Scholls fand, der ältesten Schwester von Hans und Sophie. Sie hatte zeitlebens Stillschweigen über deren Existenz bewahrt, wohl, wie Zoske vermutet, um ihren homosexuellen Bruder gegen die Öffentlichkeit zu schützen.

Erst die Krise machte Hans Scholl zum Widerstandskämpfer

Es sind 141 handgeschriebene Seiten, Lyrik, Aphorismen, Prosa, Briefe, in denen Scholl die Krise durchbuchstabiert, die der Gerichtsprozess in ihm ausgelöst hatte. Eine Krise aus Scham, Demütigung, Angst, Verzweiflung. Vor allem die Gedichte, die in dem Buch abgedruckt sind, zeigen ihn als einen zutiefst verunsicherten jungen Mann, selbstzweiflerisch und vergrübelt, zugleich elitär, mit einem ausgeprägten Drang zum Heroischen. Anleihen bei Rilkes "Buch vom mönchischen Leben" sind unverkennbar. Auch Stefan Georges Heilserwartung wabert durch die Zeilen; dessen poetischer Aufruf – "Flamme sein" – hatte schon den blutjungen Scholl entzündet.
Wie aus dem draufgängerischen Schwärmer von einst ein Dissident wird, der sich auf Gott und den Glauben seiner Kindheit besinnt - in dieser auch christlich motivierten Umkehr sieht Zoske den Angelpunkt für Scholls Weg in den Widerstand. Man mag in dieser rein beschreibenden Biographie die Analyse, den großen historischen Bogen vermissen, etwa was das Phänomen der Homosexualität in der Geschichte des Männerbünde betrifft oder warum Eliten, die auf Führung und Gefolgschaft basieren, ohne libidinöse Anteile nicht auskommen. Doch ihr psychologischer Ansatz zeichnet das lebendige Bild eines Charakters voller Selbstzweifel - jenseits des Heldenmythos.

Robert Zoske: "Flamme sein! Hans Scholl und die Weiße Rose"
C.H. Beck Verlag, München 2018
368 Seiten, 26.95 Euro

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