Robert B. Reich: "Rettet den Kapitalismus"

Politik in den Händen von Oligarchen

Ein Mann schläft in einer Straße in New York.
Ein Mann schläft in einer Straße in New York. © picture alliance / dpa
Von Marcus Pindur · 13.08.2016
Robert B. Reich will den amerikanischen Kapitalismus vor den Oligarchen retten. Denn die ungleichen Einkommen zwischen Armen und Reichen führt er auf den politischen Einfluss von Konzernen und Banken zurück.
Deutschland gehe den Weg der Vereinigten Staaten, warnt er in einem eigenen Vorwort seine deutschen Leser. Auch hierzulande würden die Einkommen stagnieren. Zwar seien sie seit Ende der 90er Jahre deutlich gestiegen, aber – so sein Hauptargument - die Ungleichheit wachse. Oben würden Einkommen und Vermögen schneller wachsen als unten. In diesem Befund unterscheide sich also Deutschland nicht von den USA.
Der Politikprofessor, Jahrgang 1946, unterrichtet derzeit an der Berkeley University, war davor in Harvard und an der Brandeis University und früher Rhodes-Stipendiat in Oxford. Er ist also mit allen wissenschaftlichen Ehren ausgestattet - und ein ausgesprochener Linker, setzt er sich doch für ein bedingungsloses staatliches Grundeinkommen in den USA ein.
Bereits vor 20 Jahren hat er für eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns plädiert. Damals war er erst wirtschaftspolitischer Berater, dann Arbeitsminister unter Bill Clinton, von 1993 bis 1997. In den Vorwahlen 2016 zum Präsidentenamt unterstützte er nicht dessen Ehefrau Hillary, sondern Bernie Sanders, den Linkspopulisten, der sich selbst als demokratischer Sozialist bezeichnet.
Politik unterstütze Konzerne und benachteilige Arbeiter
In früheren Büchern sah er den Grund für die ungleiche Einkommensverteilung noch in der galoppierenden technologischen Entwicklung, die dazu führe, dass wenig qualifizierte Arbeitnehmer abgehängt würden. Darauf kommt er nicht zurück, denn er wechselt die These: In den vergangenen 30 Jahren hätten wirtschaftliche Eliten politische Entscheidungen forciert, die sie begünstigten, den einfachen Arbeitnehmer jedoch Risiken aufbürdeten.
So könnten sich amerikanische Konzerne der Insolvenz bedienen, um Verpflichtungen aus lästigen Tarifverträgen loszuwerden. Ehemaligen Studenten sei es jedoch nicht erlaubt, sich ihres Studienkredites durch eine Privatinsolvenz zu entledigen. Er beklagt also, dass Chancen und Risiken nicht nur sozial und wirtschaftlich, sondern in erster Linie politisch ungleich verteilt seien. Damit einher laufe die schwindende Macht der Gewerkschaften.
Robert B. Reich geht von einem Idyll der 50er und 60er Jahre aus: Damals habe das Einkommen eines Lehrers oder eines Automechanikers gereicht, um eine vierköpfige Familie zu ernähren, für ein Haus und Auto. Das sei heute nicht mehr der Fall. Durch Globalisierung und technologischen Fortschritt hätten die meisten Arbeitnehmer an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt.
Marktwirtschaft brauche neue Wettbewerbsregeln
Natürlich stellt er sich vor, die Reichen stärker zu besteuern, um die staatlichen Einnahmen in Schulen und Ausbildung zu investieren und mehr Geld an die Bedürftigen zu verteilen. Aber wirklich lösen ließen sich die sozialen Probleme der USA, so glaubt er heute, wenn die Regeln des Marktes neu geschrieben würden, das Insolvenz- und das Wettbewerbsrecht beispielsweise.
Seit Jahrzehnten debattiere man über Instrumente, die angeblich die Wahl böten, sich zwischen freiem Markt und eingreifendem Staat zu entscheiden. Doch diese Debatte habe den Blick auf die wesentliche Rolle des Staates versperrt, Voraussetzungen für einen Markt zu schaffen, so wie man ihn jeweils haben will.
Das machten die Monopolisten bereits und sie würden sich weiter ausbreiten. Ob Monsanto, Amazon oder das Kartell aus fünf Banken, das 45 Prozent aller Aktiva halte, sie würden nicht nur ihre Märkte dominieren, sondern ihre Interessen durch ein breites Netzwerk in der Politik absichern. Vor ihnen gelte es den Kapitalismus zu retten.
Altbackene Umverteilung vergisst Bildung und Infrastruktur
Bevor also die Regeln der Marktwirtschaft anders gestaltet werden könnten, müsste diesen Oligarchen die Macht im Politikbetrieb und der Einfluss auf den Gesetzgeber genommen werden. Deshalb schlägt er vor, was schon andernorts diskutiert wurde, die Finanzierung von Wahlkämpfen zu reformieren und die Rotation zwischen politischen Mandaten und privatwirtschaftlichen Führungsjobs zu bremsen.
Das große Manko seiner Ideen und seines Buches ist es, dass sie altbacken sind. Robert B. Reich ist fixiert auf staatlich organisierte Umverteilung von oben nach unten, obschon er es bestreitet. Nicht die Rede ist bei ihm von neuen Wegen in die Chancengesellschaft. Sie müsste vor allem in Bildung und Infrastruktur investieren, damit 99 Prozent der Bevölkerung in einer reformierten Marktwirtschaft gegenüber dem einen Prozent der Multimilliadäre bestehen können.

Robert B. Reich: Rettet den Kapitalismus! Für alle, nicht für 1 %
Aus dem Englischen von Bernhard Schmid
Campus Verlag, Frankfurt-New York 2016
315 Seiten, 24,95 Euro