"Ritzeratze! Voller Tücke, In die Brücke eine Lücke ..."

Von Markus Metz und Georg Seeßlen · 15.12.2012
Lausbuben werden Lausbuben eigentlich nur in der nostalgischen Erinnerung und allseits beliebter Literatur genannt. Ansonsten bekommen diese Rotzlöffel, Satansbraten und Hundskrüppel ganz andere Namen. Jedenfalls handelt es sich um männliche und in einer kleinen radikalen Minderheit auch weibliche Jugendliche vor der Vollendung der Pubertät, die ihren bedeutendsten Lebenszweck darin sehen, den Erwachsenen im allgemeinen, den autoritären Modellen unter ihnen im besonderen Streiche zu spielen.
Solche Streiche finden in aller Regel im Dreieck zwischen einem derben Scherz, grobem Unfug und Sach- sowie im Extremfall Körperbeschädigung statt. Ein gelungener Lausbubenstreich ist aber stets beides: eine gezielte Aggression und ein soziales Kunstwerk. Der Lausbub steht, wie es Christoph Well, Mitglied der bayrischen Kabarett- und Musik-Gruppe Biermösl Blosn, formuliert, "mit einem Bein im Ministranten-Unterricht und mit dem anderen im Erziehungsheim". Allgemeiner formuliert: Lausbuben sind Rebellen, die das Zeug zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft in sich haben - oder umgekehrt, begabter Nachwuchs, der das Zeug zum Rebellen hat.

Bekämpft werden diese jugendlichen Rebellen seit der Antike, in der einerseits die Philosophie und andererseits mit der Erziehung gleich auch das mehr oder weniger probate Mittel von Nachsitzen und Strafaufgabe erfunden wurde. Seitdem tobt ein ewig währender Krieg zwischen Lausbuben und Erwachsenenordnung. Es ist manchmal ein Krieg kindlicher Klarsicht gegen Heuchelei und Anmaßung. Manchmal ist die Kunst des Streiches auch eine besondere Form des gesellschaftlichen Experiment. Und, machen wir uns nichts vor, manchmal geht es auch vor allem um Schadenfreude und Bosheit.

Der Lausbubenstreich ist eine bestimmte kritische "Sprache" zwischen rebellischen Kindern und selbstzufriedenen Erwachsenen. Entweder man lässt es gehörig krachen oder es geschieht etwas Unappetitliches. Oder einer Autoritätsperson wird etwas angetan, was diese dauernd mit ihren Opfern anstellt: eine Demütigung. Die höhere Kunst des Lausbubenstreichs besteht zum Beispiel darin, mehrere dieser Elemente miteinander zu verbinden oder möglicherweise die symbolisch hochwertige Missetat auch noch jemand anderem in die Schuhe zu schieben. Allerdings gehört es zu einem guten Lausbubenstreich auch, wie beim Stierkampf, dass sich der Held durchaus in Gefahr begibt. Lausbubenstreiche sind nichts für Feiglinge und schon gar nichts für Leute, die selber schon das Prinzip anwenden, Gewalt gegen Schwächere einzusetzen. Ein guter Lausbub wächst an seinen Feinden (und von denen hat er reichlich).

Ach, was muss man oft von bösen Kindern hören... Eine lange Nacht mit Geschichten, Erinnerungen, Theorien und Liedern über Lausbuben, Rotzlöffel, Vorstadtpunks und andere Satansbraten. Da kann man zum Beispiel hören, wie man mit einer Katze eine langweilige Weihnachtsfeier interessanter macht oder allerlei Wissenswertes über den Gebrauch von Farbe, Explosivstoffen und Stinkbomben. Wie man den Nachbarn dazu bringt, freiwillig in einen Karton voller Hundescheiße zu treten. Was Bart Simpson mit Nietzsche zu tun hat. Wie Sting (der Sänger bei der Rockgruppe Police) in einem englischen Internat aufhörte, an Gott und das Erziehungssystem zu glauben. Für Leute, die das Klassische mögen, warten mit feinen Schandtaten auf: Tom Sawyer, Ludwig Thoma, Erich Kästner, Heinz Rühmann und natürlich Max & Moritz.

Fürs Zeitgenössische stehen Gerhart Polt, die Biermösl Blosn, Rocko Schamoni und das Studio Braun, die kleenen Punker... Sogar Lausmädel, Pferdestemmerinnen und Guerillakünstlerinnen kommen vor. Eigentlich geht es immer um das Gleiche, immer wieder neu: Nicht irgendetwas anstellen, sondern etwas, das gut geplant, laut, gefährlich, eklig, nachhaltig wirkungsvoll und lustig ist und worüber sich die richtigen Leute ärgern. Man kann es Revolte oder Rache nennen, Kunst oder Komödie. Lausbubenstreich oder antiautoritäres Happening. Das ist egal. Hauptsache es ist aufregend und hat Stil. Und man kommt damit durch. Meistens jedenfalls.

Wiederholung vom 5./6.4.2008

Wilhelm-Busch-Museum, Hannover


Was Lausbuben kennzeichnet

Leute ärgern, Sachen kaputt machen, einen Riesenwirbel veranstalten - und damit davonkommen.

Die Erwachsenen, denen sie ihre Streiche widmen, sind so borniert und selbstsüchtig, dass man gar nicht anders kann als sich auf die Seite der Lausbuben zu schlagen.

Sie laufen um ihr Leben, um ihre Freiheit und um die nächste Bosheit. Und sie laufen vor jeder erzieherischen Absicht davon, die man sonst in der Literatur für Kinder und über Kinder kennt.

Lausbuben müssen daran glauben, dass die Welt durch ihre Streiche ein bisschen besser wird, und dass sie selber in dieser Welt ein bisschen besser dastehen.

Es geht bei allen Lausbubenstreichen um die Niedertracht von Erwachsenen. Die muss sichtbar gemacht werden. Darin steckt der Triumph des Lausbuben.

Was den Lausbuben herausfordert, sind reglementierte und ritualisierte Situationen, überall da, wo sich die Niedertracht der Erwachsenen zeigt. Wo der Klügere den Stärkeren bezwingen kann. Wo Autorität und Moral sich besonders selbstgefällig und selbstsicher zeigen.

Die meisten Lausbuben in der Literatur, in den Comics und vielleicht auch im richtigen Leben haben zwar eine Familie, aber eine, die irgendwie unvollständig, offen, geflickt ist. Tom Sawyer etwa wächst bei seiner Tante auf. Die verhaut ihn zwar auch manchmal, aber doch nicht so, wie es vielleicht ein Vater getan hätte.

Erwachsene Niedertracht und kindlicher Unmut, Verbündete und günstige Gelegenheiten - daraus entsteht schließlich die Kunstform des Streichs.

Und dann gehört auch noch die Sprache zum Lausbuben-Kanon. Lausbuben sind sprachschöpferisch tätig, wenn sie zum Beispiel Spitznamen und Schimpfworte erfinden.

Oder mit den Worten von Wilhelm Busch
Als ich ein kleiner Bube war,
Da war ich schon ein Lump;
Zigarren raucht ich heimlich schon,
Trank auch schon Bier auf Pump.

Zur Hose hing das Hemd heraus,
Die Stiefel lief ich krumm,
Und statt zur Schule hinzugehn,
Strich ich im Wald herum.

Wie hab ich's doch seit jener Zeit
So herrlich weit gebracht! -
Die Zeit hat aus dem kleinen Lump
'n großen Lump gemacht.



Experten in Sachen Lausbuben melden sich zu Wort

Ulrich Beer, Psychologe und Autor (1932 - 2011)
"Ich glaube, dass fast alle Kinder gemerkt haben, dass das nicht Realität ist, sondern Phantasie und haben sich der schadenfroh angeschlossen. Schadenfreude am Unglück des anderen durchzieht das Werk von Wilhelm Busch von A bis Z. Da kann man sagen, das ist pädagogisch nicht wertvoll - es ist übrigens das verbreitetste Kinderbuch der Welt, übersetzt in 170 Sprachen. Insofern ist Busch ein Klassiker, und das kann man nur sein, wenn auch ein geistiger und kultureller Wert drin steckt. Der Wert von Max & Moritz steckt nicht in den nachvollziehbaren, konkreten Handlungen, sondern in dem deutlich gemachten Konflikt zwischen einer im Grunde nicht kompetenten und zur Erziehung reifen Erwachsenengeneration und einer Jugend, die nicht frei aufwachsen darf."


Jost Martinius, emeritierter Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie, LMU München
"Ich habe mich mit Max und Moritz auseinandergesetzt und habe bemerkt, dass Wilhelm Busch Kinder sehr genau beobachtet hat und vieles aus dem realen Leben übernommen hat. Wenn Max und Moritz ihrem Onkel Maikäfer aufs Bett setzen, dann ist das ein typischer Jungenstreich. Aber es kommen ja ganz andere Dinge vor, Diebstahl und Tierquälerei in extremem Ausmaß, Einbruch in Mühle, damit wollte Busch möglicherweise darstellen, was Kinder so tun und was sie auch tun müssen - allerdings überzogen. Und mündend darin, dass sie umgebracht werden, also die Höchststrafe erhalten. Das haben wir als Kinder so nicht realisiert. Dann kommt ja noch der Deckel auf den Topf, indem die Erwachsenen sich am Schluss zusammentun und sagen: "Gott sei dank, jetzt sind sie hin, wie gut, dass man sie beseitigt hat. Wie sind wir doch ehrliche und biedere und gute Menschen!" Da hat Busch die Erwachsenen angegriffen in ihrem Verhalten und nicht die Kinder bloßstellen wollen. Die Streiche auch im Extrem sind nur Mittel zum Zweck, um das zu tun. Auch in seinen anderen Bildergeschichten geht es immer mal um die Niedertracht von Erwachsenen."

Franz Josef Freisleder, Kinder- und Jugendpsychiater, ärztlicher Direktor des Heckscher-Klinikums, München:
"Ein Lausbub braucht Feinde, braucht Provokation, jeder Streich braucht ein Motiv, muss aus einem Urheber herausgekitzelt werden. Da ist es oft so, das zeigt ein Blick zurück in die Geschichte der Lausbubenstreiche, dass sich Streichspieler zuerst immer an Autoritäten reiben müssen. Da muss ein innerer Rochus entstehen, ein Stück Grant, Hass, der sich beim Streich in einer originellen aggressiven Handlung entladen kann."

"Ein guter Streich muss etwas Einmaliges sein, nicht etwas, was schon hundertmal da war, sondern das Originelle, Einzigartige, Hintergründige, das Gut-durchdachte mit unerwarteteten Aspekten. Jeder kennt Abiturstreiche, alte Klamotten auszupacken, das ist nichts Originelles. Aber wenn etwas Neues, Einzigartiges gemacht wird von mehreren, die sich das überlegt haben, und wenn sie dabei nicht nur das Streichopfer verletzen, sondern wenn das Opfer nachher gemeinsam mit den Urhebern lachen kann, dann ist das ein guter Streich."


Lausbuben- und Lausdirndl Literatur

Wilhelm Busch:
Max und Moritz.
Eine Bubengeschichte in sieben Streichen
Esslinger Verlag
In sieben Fabeln wird das biedere Bürgertum durch die Bosheiten von Max und Moritz stark überzeichnet angegriffen. Die Lausbuben werden erst durch das triste Reglement der Älteren, zum Beispiel in der Person des Lehrers Lämpel, zu Schandtaten provoziert. Der Streich gegen Witwe Bolte richtet sich gegen ihren zweifelhaften Lebensinhalt, drei Hühnern und einem Hahn, der durch den grausigen Mord an ihren Lieblingen zunichte gemacht wird. Gegen allzu viel Demut und mangelnde Zivilcourage zielt der Streich gegen Schneider Böck, der bei der Jagd nach den Spitzbuben ins Wasser fällt. Die Gesamtauflage von Max und Moritz geht in die Millionen, das Werk wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, sogar ins Lateinische, Altgriechische und in die Blindenschrift.


Heinrich Hoffmann
Struwwelpeter
Esslinger Verlag
Der Struwwelpeter enthält insgesamt zehn Geschichten (vollständig erst seit 1847), die sich stark in ihrer Struktur ähneln. Ein Kind verstößt gegen eine gesellschaftliche Norm oder eine elterliche Anordnung und erhält schon kurz darauf die Strafe: Wer einen Hund ärgert, wird von ihm gebissen, wer seine Suppe nicht isst, muss verhungern. Dabei ist die passive Rolle der Eltern ebenso auffallend wie die Überzeichnung von strafenden Personen wie dem Schneider mit der riesigen Schere, der Daumenlutschern die Daumen abschneidet.


Carlo Collodi
Pinocchios Abenteuer
Arena Verlag
Aus einem Pinienscheit schnitzt Meister Gepetto eine Holzpuppe: Pinocchio. Schon bevor der kleine Kerl fertig ist, beginnt er seinem Vater Grimassen zu schneiden, und sobald er auf eigenen Füßen steht, läuft er davon - auf zum ersten seiner vielen Abenteuer! Der freche Pinocchio träumt einen großen Traum: Er möchte ein richtiger Junge werden! Bevor dieser Wunsch in Erfüllung geht hat er jedoch zu lernen wie ein richtiger Junge sein muss: mutig, erhrlich und gut. Ein langer, harter Weg für den eigensinnigen Holzkopf.


Mark Twain
Tom Sawyer und Huckleberry Finn
Dressler Verlag
Die berühmte Geschichte des cleveren Waisenjungen, der in dem Städtchen St. Petersburg am Mississippi lebt, erschien 1876. Tom, "a good bad boy", rebelliert gegen seine Umwelt, ohne wirklich etwas Böses zu tun, und gibt sich seinen Lausbubenstreichen hin. Als Tom und sein Freund Huck eines Tages Zeugen eines Mordes werden und Tom erfährt, dass der unschuldige Muff Potter gehängt werden soll, klärt er den Fall vor Gericht auf. Von da an leben Tom und Huck in ständiger Furcht vor Rache des Indianer Joe.
Mit "Tom Sawyer" begründete Twain, einer der großen Erzähler der amerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts, jenen neuen Typus des Entwicklungsromans, der sich mit der Heuchelei und Verlogenheit der Gesellschaft auseinandersetzte. Wenige Jahre später folgte mit "Huckleberry Finn" die Fortsetzung.


Peter Rosegger
Als ich noch der Waldbauernbub war
Rosenheimer Verlagshaus


Astrid Lindgren
Michel aus Lönneberga
Oetinger Verlag
Michel, fünf Jahre alt und stark wie ein kleiner Ochse, lebt auf dem Hof Katthult in Lönneberga, das ist ein Dorf in Smaland in Südschweden. Mit seinen runden blauen Augen und dem hellen wolligen Haar könnte man ihn fast für einen Engel halten, wenn er schläft. Aber wenn er nicht schläft, dann hat er mehr Unsinn im Kopf als irgendein anderer Junge in ganz Lönneberga oder ganz Sm land oder ganz Schweden oder vielleicht sogar auf der ganzen Welt!


Ulrich Beer
Sanne und Tine
Eine Mädchengeschichte in fünfzehn Streichen
Lavori Verlag
"...Diese aber - Tine, Sanne - die mit ihrem Spott, dem losen, und den knappen Leinenhosen nichts als schlimme Dinge tun. Manche davon seht ihr nun!" Ulrich Beer hat diese fünfzehn Mädchenstreiche teils dem Leben abgelauscht, teils hinzugedichtet - und das alles in Versen - ganz wie bei Wilhelm Busch.


Jackie Niebisch:
Die kleenen Punker sind wieder da

Ludwig Thoma
Lausbubengeschichten
3 Audio-CDs
Verlag Eifelkrone Musik & Buch
Wieder muss Ludwig, der Lausbub aus dem kleinen bayrischen Dorf in der Gegend von Tölz all seinen Ideenreichtum einsetzen, um den Besuch seiner Tante nicht zu lange werden zu lassen. Unterstützt wird er hierbei von Ännchen, seiner Schwester, die seine Taten mit zwei Mark fördert.


Heinrich Spoerl
Die Feuerzangenbowle.
Eine Lausbüberei in der Kleinstadt
Piper Verlag
In geselliger Runde bei einer Feuerzangenbowle beschließt der erfolgreiche Schriftsteller Dr. Hans Pfeiffer, entgangene Schulerlebnisse nachzuholen. Lavendelsalz und Zigarren, mondäne Freundin und Mercedes bleiben in Berlin zurück. Als Oberprimaner Pfeiffer nimmt er sich ein möbliertes Zimmer, geht ins Babenberger Gymnasium und wird zum Helden zahlreicher berühmter Lausbubenstreiche. Zum Schluss gewinnt er sogar die hinreißende Tochter des strengen Direktors zur Ehefrau.


Lena Christ
Lausdirndlgeschichten
Buch & Media


Henry Winterfeld
Caius, der Lausbub aus dem alten Rom
Cbj
Lausejungen gab es schon im alten Rom! Caius, seine pfiffigen Freunde und ihre Lehrer Xantippus werden in eine Reihe spannender Abenteuer verwickelt, aber Wagemut und List helfen ihnen auch aus den ausweglosesten Situationen.