Ringstorff: Atomenergie bietet keine langfristige Sicherheit

Moderation: Jörg Degenhardt · 10.01.2006
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) hat die erneute Debatte um den Atomausstieg als "unnütz" bezeichnet. Die Atomenergie biete langfristig keine Sicherheit, da die Uranvorkommen nicht unbegrenzt und das Problem der Endlagerung von Atommüll ungeklärt sei, sagte Ringstorff. Für die Zukunft sei ein Mix aus verschiedenen Energieformen nötig.
Jörg Degenhardt: Vor dem Hintergrund der aktuell geführten Atomausstiegsdebatte, Herr Ringstorff: Windräder statt Atomstrom? Ist das wirklich die Alternative, um Deutschlands Energiefragen der Zukunft zu lösen?

Harald Ringstorff: Ich glaube, so darf man die Frage nicht stellen. Es kommt bei der Energie auf einen vernünftigen Energiemix an. Aber ich frage mich schon, wie im Zusammenhang mit dem Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland jetzt die Frage des Wiedereinstiegs in die Kernenergie wieder auf die Tagesordnung kommt. Das sind, glaube ich, Dinge, die einfach nicht zusammenpassen. Es ist im Koalitionsvertrag ganz klar verabredet worden, dass es beim Atomausstieg bleibt, und ein Wiedereinstieg in die Atomwirtschaft bringt uns auf längere Sicht auch keine Energiesicherheit. Denn wenn Ressourcen begrenzt sind, dann sind es gerade die Ressourcen im Bereich des Urans. Die Meinungen gehen auseinander, zwischen 25 und 65 Jahren, schätzt man, werden die Uranvorräte noch reichen, aber diese Zeit wird eher kürzer, wenn jetzt an Wiedereinstiegsszenarien gedacht wird. Außerdem wird ja immer völlig außer Acht gelassen in dieser Diskussion, dass die Frage der Endlagerung bisher leider nicht geklärt worden ist, und ein Szenario können wir uns hier gar nicht vorstellen in Mecklenburg-Vorpommern, dass woanders Atomkraftwerke stehen und Wertschöpfung betreiben und wir dann für die Endlagerung zur Verfügung stehen müssen.

Degenhardt: Was bringt denn aber, wie Sie sagen, mehr Energiesicherheit, doch nicht die Windräder?

Ringstorff: Windräder bringen auch einen erheblichen Anteil. Wir haben schon jetzt einen beachtlichen Anteil an Windstrom. Natürlich müssen für bestimmte Zeiten auch Reservekapazitäten bereitstehen, aber wir haben bei den erneuerbaren Energien ja nicht nur Wind, wir haben auch Biomasse, wir haben Sonne. Wir müssen auch daran denken, den Energieverbrauch weiter zu reduzieren, modernere Technologien zu entwickeln, die dann auch ein Exportschlager sein können, und wir müssen bei Gaslieferungen natürlich auch diversifizieren in dem Zusammenhang oder auch teilweise größere Unabhängigkeit schaffen. Ich sehe in diesem Zusammenhang den Bau dieser Gaspipeline durch die Ostsee als ein ganz wichtiges Instrumentarium an. BASF und Wintershall haben da etwas getan im Sinne einer größeren Energiesicherheit.

Degenhardt: Frankreich will nun im Gegensatz zu Deutschland einen Reaktor der vierten Generation für die Zeit nach 2030 entwickeln. Was heißt denn das, die Franzosen, die sind doch nicht leichtsinniger als die Deutschen?

Ringstorff: Das mag sein, dass in Frankreich andere Auffassungen existieren. Die Franzosen haben übrigens mit ihren Atomkraftwerken ja auch im Trockensommer 2003 erhebliche Probleme gehabt mit der Kühlkapazität. Ich sehe das nicht als die Alternative an. Ich habe auf die begrenzten Ressourcen hingewiesen, die es im Uranbereich gibt, und wir schaffen damit keine langfristige Sicherheit, allenfalls für eine Generation. Und ich bleibe dabei, wir müssen uns mehr und mehr von energieintensiven Technologien abnabeln, müssen auf Energieeinsparung setzen und den Anteil an erneuerbaren Energien erhöhen und bei den fossilen Energieträgern auf Diversifizierung setzen, das heißt, nicht abhängig machen von einem einzigen Liefergebiet, sondern einen Mix dort anstreben, und Mecklenburg-Vorpommern hat natürlich auch Interesse, Lubmin wieder zum Energiestandort zu machen, aber nicht zu einem Standort für Atomenergie. Was es übrigens kostet, alte Reaktoren zurückzubauen, das merken wir an dem Standort Greifswald/Lubmin. Hier sind mehrere Milliarden nötig, um dort das verstrahlte Material sicher zu entsorgen.

Degenhardt: Lassen Sie uns noch ganz kurz über die bereits bestehenden oder noch bestehenden Atomkraftwerke reden. Können Sie sich vorstellen, dass man da vielleicht doch die Restlaufzeiten zumindest neu verhandelt? Das hat Ihr Kollege, der saarländische Ministerpräsident Herr Müller, vorgeschlagen oder angeregt.

Ringstorff: Ich halte wenig davon, Verträge, die man abgeschlossen hat, nun, weil es einen Gasstreit zwischen der Ukraine und Russland gegeben hat, wieder in Frage zu stellen. Dadurch wird nur die Hoffnung genährt, wir könnten uns um die Themen herumdrücken, die ich genannt habe, also größeren Anteil an erneuerbaren Energien, Einschränkung des Energieverbrauchs. Das sind die Themen, die auf der Tagesordnung stehen, und wir gaukeln doch der Bevölkerung etwas vor, wenn wir als Lösung des Energieproblems den Wiedereinstieg in die Kernkraft propagieren oder auch hoffen, über diese Krücke längere Nutzung der bestehenden Atomkraftwerke hier von anderen wichtigen Punkten abzulenken.

Degenhardt: Erwarten Sie hier neuerlich ein Machtwort von der Kanzlerin, um diese Atomausstiegsdebatte zu beenden?

Ringstorff: Also ich glaube, die Kanzlerin hat sich hier sehr vernünftig verhalten. Sie hat darauf hingewiesen, was zwischen den Koalitionspartnern vereinbart worden ist, und ich denke, dass die Debatte unnütz heraufbeschworen wurde, auch von einigen Unions-Fürsten, um vielleicht auch von anderen Dingen abzulenken. Es kann nicht so sein, das will ich auch noch einmal deutlich sagen, dass im Süden Atomkraftwerke stehen und der Norden entsorgt dann den Atommüll, und, wie gesagt, eine gesicherte Endlagerung gibt es nicht, und die Ressourcen an Uran sind begrenzt, es sei denn, man will wieder einen neuen Versuch machen mit dem so genannten schnellen Brüter, das ist ja auch ein Milliardengrab gewesen seinerzeit, und ein Einstieg in die Plutoniumwirtschaft, Plutonium mit einer extrem langen Halbwertszeit, also ein extrem langer Strahler, das ist, glaube ich, auch schwer verantwortbar gegenüber kommenden Generationen.