Dienstag, 19. März 2024

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Händels "Saul" in Wien
Abschied von Macht und Verstand

Die biblische Geschichte von König Saul und dem jungen David ist aus dem Alten Testament bekannt. Georg Friedrich Händel komponierte aus diesem Stoff das Oratorium "Saul", das 1739 in London uraufgeführt wurde. In Claus Guths Wiener Inszenierung hat der charismatische David eine große Wirkung nicht nur auf Saul, sondern auf dessen gesamte Familie.

Von Jörn Florian Fuchs | 17.02.2018
    Der Dirigent Laurence Cummings bei der Premiere von Saul, Theater an der Wien
    Der Dirigent Laurence Cummings bei der Premiere von Saul, Theater an der Wien (imago/SKATA)
    Während der Ouvertüre ahnt man bereits, wie die Sache ausgeht. Da steht, kniet, schleicht ein alter Mann durch die karge Gegend, Händels farbig flimmerndes Melodienfeuerwerk wirkt wie ein zynischer Kontrapunkt. Was folgt, ist eine minutiös und vielschichtig erzählte Verfallsgeschichte. Der einst beliebte Herrscher Saul muss seinen Platz zugunsten des jungen Strahlemanns und Kriegshelden David räumen.
    In Claus Guths Lesart sind nicht nur die Töchter Sauls, Merab (mit quicklebendigem Sopran: Anna Prohaska) und Michal (elegant-elegisch: Giulia Semenzato), sondern auch sein Sohn Jonathan (Andrew Staples) und eigentlich auch der Patriarch selbst von David angezogen. Saul spiegelt sich im anfangs etwas täppisch den Schädel Goliaths präsentierenden David, dazu lässt Guth das Geschehen bisweilen zeitlupenhaft einfrieren. Es gibt auch einen echten Doppelgänger beziehungsweise ein spukhaftes Wesen, eine Art Begleitgeist, der in einer Ecke lehnt und den langsamen Abschied Sauls von Macht und Verstand beobachtet.
    Mit Wut und Wucht
    Florian Boesch zeigt die Titel gebende Figur mit brillantem Körper- und Vokaleinsatz, Countertenor Jake Arditti singt David lustvoll keck, mit angenehmem, androgynem Timbre und schönen Verzierungen. Guth und sein Ausstatter Christian Schmidt haben sich wie so oft für eine Drehbühne entschieden, es wechseln archaisch düstere Räume mit einem Tee-Salon für die nur scheinbar feine, in Wirklichkeit arg zerrüttete Familie. Der von Erwin Ortner perfekt einstudierte Arnold Schönberg-Chor tritt mal als Abendgesellschaft, mal als Davids Jüngerschaft in hellem Ornat auf.
    Claus Guth gewinnt Händels viertem Oratorium (1739 uraufgeführt in London, wenige Jahre vor dem berühmten "Messiah") stupende szenische Qualitäten ab und verschränkt mühelos den alttestamentarischen Konflikt mit einer völlig gegenwärtigen Ästhetik. Statt Sauls Ringen mit Gott, der hier abwesend bleibt, gibt es einen neumythologischen Sektenkult. Dabei setzt Guth auch immer wieder bewusst auf Überzeichnung, auf komische Elemente. Im Graben sitzt das Freiburger Barockorchester unter Laurence Cummings, der Händel-Fachmann belebt die eigenwillige Partitur mit wenigen Bravourarien und kaum Wiederholungen. Glockenspiel, eine überraschend eingesetzte Orgel, dazu viel Naturblech, sorgen für Atmosphäre und Dynamik. Bei vielen instrumentalen Soli und manchen Accompagnati entsteht eine wirkliche szenische Ebene, die wunderbar mit dem Bühnengeschehen korrespondiert.
    Einmal mehr zeigt sich, dass Guth mit entsprechenden musikalischen Partnern gerade als bühnenuntauglich geltende Werke atemberaubend inszenieren kann, während er im Standardrepertoire öfters - etwa beim Salzburger "Fidelio" vor ein paar Jahren - in selbstreferenzieller Kunstgewerblichkeit stecken bleibt. Im Theater an der Wien gab es für alle Mitwirkenden Ovationen, ohne den geringsten Hauch eines Buhs.